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Im Unterbewusstsein des Architekten

Wie aus einem unscheinbaren Stück Raufasertapete oder einer zerknitterten Zigarettenpackung wuchtige Außenwände werden: Die 387 Modellhäuser des österreichischen Hobbybastlers Peter Fritz im Architekturgebäude der Technischen Universität ■ Von Daniel Boese

Vorsicht, hier wurde gebaut! Viele kleine Modellhäuser stehen in langen Reihen nebeneinander: ein Bauernhaus aus dem Voralpenland, mit einem Würfel als Anbau, daneben ein Mehrfamilienhaus mit Säulenvorbau, dann noch ein Einfamilienhaus, zu dem eine dreifach gewinkelte Treppe hinaufführt. So ähnlich geht es weiter, die Masse der Häuser ist dabei kaum zu überschauen.

Die genau 387 Häuser, die Peter Fritz gebastelt hat, würden aber sicherlich gut für eine Kleinstadt irgendwo zwischen Schwarzwald und Oberösterreich reichen. Während man sich diese prototypische Provinzstadt vorstellt, geht das Rätseln schon los: Sind die Häuser, die nicht viel kleiner sind als ein Tetrapak H-Milch, vielleicht Nachbauten von echten Häusern? Wie kommen sie nach Berlin? Und vor allem, wer war der Mann mit der Bastelmanie, der jahrelang ein Haus nach dem anderen zusammengefrickelt hat?

Die Antworten fallen recht dürftig aus: Peter Fritz war Versicherungsbeamter in Wien und starb 1992 im Alter von 76 Jahren. Seiner Familie muss die Bastelei suspekt gewesen sein, denn sie gab die gesamte Häusersammlung inklusive 2.000 Dias an einen Trödler. Dort entdeckte sie der Wiener Künstler Oliver Croy und erwarb für 7.000 Schilling Häuser und Dias. Teile davon wurden bereits im Architekturzentrum Wien und im Pavillon an der Volksbühne ausgestellt, jetzt sind erstmals alle 387 Modelle im Architekturgebäude der TU zu sehen und füllen dort zwei 15 Meter lange Regalwände.

Die Bastelhäuser in diesem Kontext der technisch orientierten Ausbildung von Architekten zu präsentieren war Motivation von Oliver Elser, Mitinitiator der Ausstellung. So wird das Spannungsfeld zwischen Prestigeprojekten im Stil vom Potsdamer Platz und guter Gebrauchsarchitektur für das Umland, das gerade hier an der Uni diskutiert wird, aus dem Blickwinkel des sympathischen Bastlers betrachtet.

Wirkliche Vorbilder für die Modelle sind nicht zu finden, auch wenn die Dias viele Bauten aus der österreichischen Provinz zeigen, wo die gebastelten Häuser durchaus stehen könnten. Aber die Provinzwelt des Peter Fritz ist ein gutes Stück interessanter als die reale: bunter, verwinkelter und mit markanten Details. Traditionelle alpenländische Architektur und moderne Bauweise treffen aufeinander und werden aneinander gebrochen, aber nur bis zur persönlichen Schmerzgrenze des Bastlers.

Die Schönheit geht nie verloren, denn weder die Moderne noch das Voralpenidyll werden allein gelassen, sondern kombiniert und mit abstrusen Einfällen versetzt: Manchmal ist die Fassade eines Bauernhofes mit roten Blumen gemustert, dann wieder ein Quader aus dem Haus herausgebissen und durch eine Betonsäule ersetzt.

Immer wieder bringt der Tourismus Veränderungen, zum Beispiel wenn ein Glasquader als Restaurant in ein altes Holzhaus geschoben ist. Schließlich setzt Fritz dem Ganzen noch ein psychedelisch gemustertes Dach in Lila, Pink und Braun auf. Es ist nicht die Suche nach dem perfekten Haus oder der idealen Architektur, die ihn dabei antreibt. Eine Entwicklung oder ein Suchen nach neuen Formen innerhalb der Werke findet nicht statt. Auch der Impuls des Modelleisenbahners, der sein Territorium füllen und beherrschen möchte, ist Fritz fremd.

Stattdessen baut er, um zu bauen, ein theoretisch endloser Prozess der Materialverwertung, bei dem er das Innere nach außen kehrt. Was er in seinem Lebensalltag, in seiner Wohnung findet, wird zur Oberfläche seiner Bauten. Fritz verbaut Firmenlogos und Werbesprüche aus der Zeitung, Reißzwecken und Zigarettenpackungen: Aus dem unscheinbaren Stück Raufasertapete wird eine wuchtige Außenwand. Der Bastler mit seiner sympathischen Manie schafft aus diesem Spiel von Innen und Außen, von Idyll und Funktionalität die Kleinstadt des kollektiven Architekturunterbewusstseins, die nirgendwo zu finden ist, aber überall stehen könnte.

Bis 4. 2., Di.–Sa. 12–18 Uhr im Architekturgebäude der TU, Ernst-Reuter-Platz, und unter www.BauNetz.de/Sondermodelle

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