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„Sanktionen werden nicht sanfter“

Volker Beck, rechtspolitischer Sprecher der Grünen, zur geplanten Einführung von „alternativen Strafen“: Sanktionen werden effizienter, Gefängnisse könnten um zehn Prozent entlastet werden

taz: Ist die Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems eher ein grünes oder eher ein rotes Projekt?

Volker Beck: Dies ist eindeutig ein gemeinsames rot-grünes Projekt. Wir wollen den Gerichten neben Freiheits- und Geldstrafen differenziertere Sanktionsmöglichkeiten an die Hand geben.

Diskutiert wird ja über eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen. Gibt es auch eine verbindende Philosophie der Reform?

Die Strafen sollen dem Täter das Unrecht der Tat vor Augen führen und so einen Beitrag zur Resozialisierung leisten. Sie sollen angemessener und effizienter sein, nicht unbedingt sanfter, manchmal sogar härter.

„Effizienter“ strafen? Gibt es dafür Maßstäbe?

Für die Opfer ist es wichtig, dass der Täter das Unrecht einsieht und er zu Wiedergutmachungsleistungen angehalten wird. Außerdem müssen die Ressourcen des Strafvollzugs sinnvoll eingesetzt werden. Es macht keinen Sinn, die Gefängnisse mit Leuten zu überfüllen, die lediglich eine Geldstrafe nicht bezahlen konnten oder wollten. Es ist auch verkehrt, Kleinkriminelle mit den schweren Jungs zusammenzusperren; schließlich ist der Knast auch oftmals „Schule des Verbrechens“.

Welche Bedeutung hätten dann noch das Gefängnis und die Freiheitsstrafe?

Es geht auch um Generalprävention, den Strafanspruch der Gesellschaft und Sühne für die Tat. Vor allem die Resozialisierung schwerer Straftäter muss stärker im Mittelpunkt des Vollzuges stehen, damit wir die Rückfallquoten senken. Für diesen wichtigen Zweck fehlen derzeit aber Geld und Personal, weil die Gefängnisse überfüllt sind.

Mal angenommen, Gefängnisse könnten tatsächlich einen Beitrag zur Resozialisierung von Straftätern leisten: Wie viel Prozent der derzeitigen Insassen müssten nach Ihrer Meinung in andere Sanktionsformen umgeleitet werden?

Derzeit sind etwa zehn Prozent der Haftplätze von Menschen belegt, die nur eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, die also nicht genug Geld hatten, um eine Geldstrafe zu bezahlen. Wenn diese Leute künftig gemeinnützige Arbeit leisten, dann wäre das schon ein riesiger Erfolg.

Sie glauben also, eine Entlastung der überfüllten Gefängnisse um zehn Prozent würde die Resozialisierung der Insassen bereits deutlich erleichtern?

Es gibt ja noch andere Maßnahmen, etwa die Aufwertung des Fahrverbots zur Hauptstrafe bei autobezogenen Delikten.

Können Sie die Entlastungswirkung der kleineren Maßnahmen beziffern?

Das ist schon deshalb nicht möglich, weil letztlich die Richter entscheiden, ob sie alternative Sanktionsformen anwenden. Wir haben eine unabhängige Justiz und können ihr nur die nötigen Instrumente an die Hand geben.

Beim Fahrverbot ist das nicht sehr beeindruckend ausgefallen. Die Strafe ist nach wie vor auf Taten beschränkt, bei denen ein Auto eine Rolle gespielt hat.

Das Fahrverbot soll nun aber immerhin für sechs Monate statt bisher drei Monate verhängt werden können. Außerdem wollen wir es zur Hauptstrafe aufwerten, das heißt, es ist nicht mehr nur die Beigabe zu einer Bewährungs- oder einer Geldstrafe.

Relativ neu ist der Vorschlag, dass Haftstrafen bis zu drei Jahren auf Bewährung ausgesetzt werden können.

Der Vorschlag ist in ähnlicher Form schon in der letzten Legislaturperiode diskutiert worden. Die Öffentlichkeit hat sich aber wohl mehr für neue Strafen wie Fahrverbot interessiert.

Es wird vermutet, dass dies der „wohl umstrittenste Vorschlag“ in Ihrem Paket sein wird. Teilen Sie diese Einschätzung?

Es sollen ja nun nicht alle Haftstrafen zwischen zwei und drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden, sondern nur dann, wenn zahlreiche Bedingungen erfüllt sind. So muss ein Ersttäter etwa eine günstige Sozialprognose für ein künftig straffreies Leben haben. Und – das ist uns sehr wichtig – er muss sich als Auflage aktiv um eine Wiedergutmachung seiner Tat kümmern.

Derzeit drücken viele Gerichte die Strafe auf zwei Jahre, wenn sie einem Täter das Gefängnis ersparen wollen. Künftig wäre das nicht mehr notwendig.

Es mag durchaus Einzelfälle geben, bei denen künftig zu zweieinhalb oder drei Jahren Haft statt nur zu zwei Jahren verurteilt wird.

Die Grünen also im Einsatz für ein höheres Strafniveau?

Nein. Wir wollen, dass die Gerichte zu einem der Tat angemessenen Strafmaß greifen können und trotzdem im Einzelfall bei einem einsichtigen Ersttäter auf die entsozialisierende Wirkung des Gefängnisses verzichten können. Es darf nicht sein, dass sich ein Opfer durch eine allzu niedrige Strafe im erlittenen Unrecht missachtet fühlt – nur weil ein Gericht dem Täter die Bewährung nicht anders ermöglichen konnte.

Interview: Christian Rath

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