: Große Männer brennen heller
■ Der entehrte Ex-Kanzler Helmut Kohl kommt am Freitag nach Bremen und wird in einer Rede mit falschen Freunden und echten Feinden abrechnen. Die taz hat ihn beim Formulieren belauscht
Seit zwei Tagen gilt Helmut Kohl als ehrloser Politiker. Trotzdem hat die Bremer CDU die Einladung an den Ex-Bundeskanzler zu ihrem Neujahrsempfang nicht zurückgezogen. Am Freitag wird er vor geladenen Gästen im Parkhotel eine mit Spannung erwartete Rede halten. Die taz hat ihn beim Formulieren dieser Rede belauscht. Lesen Sie schon heute, was Helmut Kohl morgen sagen wird und (in kursiver Schrift) welche Gedanken ihn beim Formulieren plagten.
Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Parteifreun ... – nein, das kann ich ja so nicht mehr sagen. Ich werde sagen – treue Bremer Parteifreunde. Ich bin heute zu Ihnen gekommen, um über Europa zu sprechen. Mein Freund Bernd Neumann – immerhin hat er sich bei der Abstimmung über meine Ehrabschneidung enthalten. Da ist ihm ja auch nichts anderes übrig geblieben. Schließlich weiß ich ja, was mit den Fraktionsgeldern in Bremen passiert ist. Ich sollte ihm trotzdem dankbar sein und sagen – Mein ganz lieber Freund und Weggefährte Bernd Neumann hat mich darum gebeten, und ich bin gerne zu Ihnen nach Bremen gekommen, obwohl Sie sich denken können, dass es für mich ganz persönlich eine schwere Stunde ist. Erst ges-tern habe ich mit meinem Freund Boris Jelzin telefoniert, und er hat mir gesagt: „Chelmut, Männer brennen kurz, und deshalb müssen sie umso heller brennen.“ Ich habe geantwortet: „Boris, wir beide haben heller gestrahlt als viele andere in diesem Jahrhundert. Doch wie lange unser Licht leuchten wird, wird erst die Geschichte zeigen.“
Als ich 1982 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wurde, war die Zeit für eine geistig moralische Wende gekommen. Ich forderte damals Tugenden wie Pflichterfüllung und Opferbereitschaft ein und stand dafür mit all meiner Kraft. Heute ist unser Vaterland geeint in Recht und Freiheit, und unsere europäischen Nachbarn sind Freunde geworden – bis auf diesen Wichtigtuer Tony Blair –.
Sehr verehrte Damen und Herren, das alles war ein großes Stück Arbeit für mich. Ich habe dabei auch Fehler gemacht und das auch offen gesagt. So ist Michail Gorbatschow mein Freund geworden – ob Deutschland ohne mich auch auseinander fällt wie die Sowjetunion? –. Sein und mein Freund François Mitterand sagte mir, als wir einander über den Gräbern von Verdun die Hände reichten: „'Elmut, wo ge'obelt wierd, fallen Späne.“
Es sind große Europäer zu meinen Freunden geworden, und gemeinsam hatten wir eine Vision. Wenn ich in dieser Stunde zurückblicke, ist Europa näher zusammengerückt. Kein Zöllner schaut einem auf den Weg ins schöne Frankreich oder ins schöne Österreich mehr in den Koffer. Und selbst Menschen aus meiner pfälzischen Heimat, die wie ich aus kleinen Verhältnissen stammen, können ihr Erspartes in Liechtenstein anlegen und einen wundervollen Bimbes erzielen.
Nun werden mir meine Verdienste wegen ein bisschen Bimbes streitig gemacht. Aber es war meine staatsbürgerliche Pflicht, das Wohl unseres Vaterlandes zu mehren, genauso wie ich es heute als meine Pflicht empfinde, mein Ehrenwort gegenüber den patriotischen und opferbereiten Spendern zu halten – natürlich habe ich ihnen in kleinen Gefallen meine Dankbarkeit erwiesen, das ist doch selbstverständlich – . Diese Spender waren europäische Freunde, und ein geeintes Europa kann nur auf Freundschaft gebaut werden.
Sehr verehrte Damen und Herren, mein Freund, der große deutsche Denker Ernst Jünger, hat mir einmal gesagt: „Unter Menschen gibt es keine Freundschaft.“ Ich habe ihm geantwortet: „Unter Menschen nicht, aber unter Visionären.“ Wer kein Visionär ist, ist ein Chaot. Und zu diesem Mob und Pöbel habe ich bei meinen vielen öffentlichen Auftritten immer gesagt: „Lernt erst mal zu arbeiten.“ Doch ich habe übersehen, dass die Chaoten in der Partei angekommen sind, der ich 50 Jahre lang nach meinem großen Vorbild Konrad Adenauer gedient habe. Diese Chaoten – wenn ich nur an diesen Lump Geißler denke, den ich doch abserviert hatte. Und noch schlimmer ist der ewige Verlierer Christian Wulff, der nicht mal gegen den Dummkopf Schröder gewinnen kann – halten mir heute vor, dass ich private Interessen über das Recht gesetzt hätte.
Aber meine Damen und Herren, ich kenne keine privaten Interessen – Der Staat bin ich! Und ohne mich ist der Staat nichts! –. Ich habe immer nur unserem schönen Vaterland gedient. Nun stehe ich hier vor Ihnen in dieser wunderschönen Stadt Bimbes – ähem – Bremen, und ich sage Ihnen mit dem Optimismus meiner pfälzischen Heimat: Eines Tages wird der Mantel der Geschichte den Pöbel hinwegwehen und meine Leistungen zu würdigen wissen.
Belauscht von:
Christoph Köster
Siehe auch Seiten 1-5 und 12
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