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Geschichten, die ich eben schrieb. Folge V: Hund, Herr und Herrchen ■ Von Joachim Frisch
Der Herr saß auf der Bank neben der Hamburger Fischauktionshalle und genoss den Blick auf die weißen Schiffe in den Docks jenseits der Elbe, als ein Rottweilerhund antrabte, gefolgt von einem Mann im Jogginganzug und einem großen, dürren, gehbehinderten Mädchen mit Leine in der Hand. Der Hund lief schwanzwedelnd zu dem Herrn auf der Bank und setzte sich vor ihn. Das Mädchen rief nun laut den Hund, worauf der Hund dem Herrn, der ihn am Hals kraulte, plötzlich die Schnauze mitten ins Gesicht stieß.
Der Mann im Jogginganzug, offensichtlich des Hundes Herrchen, sagte „das macht er sonst nie“ zu dem Herrn, der nicht auf die Ansprache des Herrchens reagierte. „Das macht er sonst nie“, sagte auch das dürre Mädchen, das gar nicht groß und behindert war, sondern Schuhe mit 30 Zentimeter hohen Plateausohlen trug, in denen es sich nur sehr ungeschickt bewegen konnte. „Das macht er sonst nie“, wiederholte das Herrchen nochmals, während dem Herrn der Kopf in den Nacken fiel. Nase und Lippen des Herrn bluteten, derweil der Hund auf das Pflaster kackte. „Hierher, bei Fuß, Sitz, Platz!“, befahl das Herrchen dem Hund, der den Schwanz einzog und gehorchte, dann rief Herrchen abermals „sonst nie“, ohne den Herrn anzuschauen, denn sonst wäre dem Herrchen nicht entgangen, dass der Herr kreidebleich und ohnmächtig war.
Während das Herrchen den Hund maßregelte, fuhr eine schwarze Limousine vor. Zwei Männer in dunklen Anzügen und mit Sonnenbrillen stiegen aus und gingen zu dem Herrn, der bewusstlos auf der Bank saß. Einer der Männer holte ein Fläschchen Cognac und träufelte dem ohnmächtigen Herrn ein paar Tropfen auf die blutende Unterlippe. Der Herr kam zu sich und sah, wie die beiden Männer plötzlich großkalibrige Waffen in Anschlag brachten, auf Hund und Herrchen zielten und mit Waffen und Köpfen auf den Hundekackhaufen deuteten.
Das Herrchen verstand die Zeichen, nahm Papiertaschentücher und säuberte das Pflaster. Auf ein erneutes Zucken der Köpfe und der Waffen der Männer hin polierte Herrchen mit dem Ärmel seines Jogginganzuges die Pflastersteine, bis beide Männer ihre Zufriedenheit bekundeten, derweil das dürre Mädchen staunend vis-à-vis stand und den Hund am Hals kraulte.
Die beiden dunklen Männer drehten jetzt die Köpfe einander zu, nickten, drehten die Köpfe wieder zu Hund und Herrchen hin und drückten die Abzüge ihrer Waffen. Binnen sieben Sekunden ergossen sich aus den Läufen 80.000 Liter Wasser über Herrchen, Hund und Mädchen, so dass schließlich alle drei wie begossene Pudel dastanden.
Mädchen und Herrchen mussten nun mit ansehen, wie die Männer dem Hund einen Chip ins Hirn pflanzten, worauf dieser wie ein Hammel zu blöken begann und sich auf die Suche nach spärlichen Grasbüscheln begab, die verloren zwischen den Pflastersteinen herausguckten, bis ein Schäfer mit einem R4-Kastenwagen vorfuhr und die beiden Männer den blökenden Hund durch die Heckklappe in den Laderaum schubsten. Der Herr, der inzwischen wieder eine gesunde Gesichtsfarbe hatte, dankte den beiden Männern, Herrchen und Mädchen aber zogen Leine. Warum denn nicht gleich so, meine Herren Herrchen?
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