piwik no script img

Neues Bauen, Bubikopf etc.Die Revolution fand in der Küche statt

Margarete Schütte-Lihotzky, Pionierin des sozialen Wohnungsbaus, starb in Wien

Als sie 1997 Geburtstag feierte, wurde sie gefragt: Wie wohnt eine 100-jährige Architektin? „Bescheiden und zweckmäßig“, meinte sie: „Ich habe doch alles: Wohnplatz, Essplatz, Schlafplatz und die Dachterrasse. Berufstätige Frauen haben keine Zeit für einen Garten.“

Über Frauen, ob berufstätig oder Hausfrau, wusste sie Bescheid. Denn was in den 70er-Jahren als revolutionäre Entdeckung eines neuen Themas im Städte- und Wohnungsbau galt, das Bauen für Frauen und Kinder, war seit ihrem Studienabschluss 1919 das Lebensthema von Margarete Schütte-Lihotzky, Österreichs erster Architektin überhaupt.

Drei Gründe, sagte sie, brachten sie zur Architektur. Die soziale Aufgabe, die Dienstleistung am Menschen. Dann die mathematisch-präzise Dimension ihrer Arbeit, die dennoch der künstlerischen Gestaltung bedurfte.

In den 20er-Jahren arbeitete sie gemeinsam mit Adolf Loos in der Wiener Siedlungsbewegung, bevor Ernst May die selbstbewusste Bubikopf-Frau 1926 an das Frankfurter Hochbauamt holte. Anders als in Wien praktiziert, plädiert sie in ökonomisch instabilen Zeiten gegen Gemeinschaftseinrichtungen wie die Zentralküche. Denn die Familie muss autonom wirtschaften können.

So entwickelt sie die berühmte „Frankfurter Küche“, Ergebnis einer gründlichen Untersuchung der Arbeitsabläufe und wie sie sagt „die Anwendung des Taylorismus auf den Haushalt“.

1930 geht das Mitglied der österreichischen KP nach Moskau, arbeitet dort bis 1937 als Spezialistin für den Bau von Kindergärten und Schuleinrichtungen. Nach Aufträgen in China und Istanbul nimmt sie Kontakt mit dem österreichischen Widerstand auf, wird 1940 verhaftet und bei Kriegsende von den Amerikanern aus dem Zuchthaus befreit.

Danach zeigt sich, dass das Bekenntnis zum Kommunismus weit karrierehinderlicher ist als eine braune Vergangenheit. Sie erhält kaum Aufträge, erst spät wird sie geehrt und mit Ausstellungen gewürdigt. Am 23. Januar wäre „die Schütte“, eine der großen Architekten des 20. Jahrhunderts, 103 Jahre alt geworden.

Brigitte Werneburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen