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Stunde null oder Countdown

Wenn das Krisenmanagement den Ausgang der Geschichte schon kennt

Vielleicht ist Kohls Niederlegen des Parteiehrenvorsitzes ja auch so eine Stunde null in der politischen Geschichte Deutschlands. Das wirkliche symbolische Ende der Bonner Republik. Die Befreiung. Vom großen Übervater. Endlich. Endgültig.

Die Stunde null jedoch meint wohl nichts anderes als den Countdown. Das zeigte sich am Dienstag bei der Sondersitzung des Präsidums und des Vorstands der CDU. 10, 9, 8, . . . : Zunächst erzwingt Schäuble mit seiner Rücktrittsdrohung eine Loyalitätserklärung des Präsidiums. Die Sache verliert schon entschieden an Schubkraft. . . . 7, 6, 5: Kohl bleibt dabei, er sieht sich außer Stande, sein Ehrenwort gegenüber den Spendern zu brechen. . . . 4, 3, 2: Weitere Schubkraft geht verloren. . . . 1, 0: Kohl legt den Ehrenvorsitz nieder. Nein, es zerreißt die Partei nicht in der Luft. Man hatte den Challenger-Unfall so sehr gefürchtet, dass die Startvorbereitungen von vornherein ein Fake waren. Die Aufklärungssonde bleibt einfach in der Startrampe sitzen.

Tatsächlich zielt das Abwärtszählen auf ein schon bekanntes Ergebnis hin: eben den Start der Rakete. Dieser Start ist idealerweise ein Nichtereignis, weil schon gewusst. Der Countdown ist demnach das Kennzeichen eines politischen Krisenmanagements, das den Ausgang der Geschichte schon kennt, schon kontrolliert. Es geht um ein Nichtereignis, Null. Das Ende der Bonner Republik ist ihr Anfang. Mit Kohl in der Endlosschleife. Kohl sitzt aus. Er ist eine mächtige Leerstelle. Um sie herum muss von der CDU Politik gemacht werden. Noch immer.

Um sie herum darf noch immer Politik gemacht werden. Christian Wulff muss nicht weinen. Würde das programmatisch leere Zentrum der CDU nicht offenbar werden, hielte es nicht Kohls massive Figur weiter besetzt? Die Bewegung der Zirkularität, die übrigens auch das Prinzip der Geldwäsche ist, täuscht Aktion vor, zielgerichtetes Handeln, das freilich immer an einem vorherbestimmten Punkt enden muss. Dass Schweigen da besser ist als Reden, wundert nicht.

Soll man das Prinzip der Zirkularität mit „Einfallslosigkeit“ benennen, wie es Karl-Heinz Bohrer, Kohl letzter intellektueller Feind, tat? Kohlsche Einfallslosigkeit fiel für ihn mit der bundesrepublikanischen Politikängstlichkeit zusammen. Doch Kohl wurde abgewählt. Die Gesellschaft wollte Bewegung. Der Countdown zur Stunde der wahren Empfindung, der Stunde null, ist nur noch eine Angelegenheit der CDU. Der Bonner Republik. Man kann auch so zählen: 1, 2, 3, . . . 8, 9, 10, ausgezählt, k. o. „They never come back“, heißt die Geschichte dieser Zählweise.

Brigitte Werneburg

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