:
Quo vadis, Elektrowiderstand? ■ Von Wiglaf Droste
In Ligurien sind die Furien los. Betagte Schachteln samt Tot- und Lebend-Viech tiffeln durch die Grenzstadt Ventimiglia: Pelz umgehängt, Hund an der Leine. Trotz sonniger 15 Grad wird der Köter zuerst in eine Steppdackeldecke eingeschnallt und dann aufs Trottoir gezerrt. Wegen beiderseitiger Hinfälligkeit allerdings ist nicht mehr eindeutig auszumachen, wer hier wen mitschleift: die alte Fregatte das Tier oder umgekehrt? Immerhin setzen beide prachtvoll ins Bild, was der Pole Lechz Valuta mit „Solidarnoscz“ und der Deutsche Gerhatt Schredder mit „Bündnis für Arbeit“ je meinten.
Im Winter sieht man besonders genau, was Altsein bedeutet: Der Lebenswille ist enorm, doch der Körper, der treulose Schuft, quittiert sukzessive den Dienst. Deshalb fährt zum Ausgleich oft Religion in den alten Menschen hinein. Sein Lebtag hat er nichts getan, das spirituell genannt werden könnte. Blanke Angst peitscht ihn zur Rückversicherung. Geriatrische Geschwader ergießen sich busladungsweise in Kirchenschiffe, gierig schwenkt die Krücke voran.
Für Anhänger der christlichen Tradition ist speziell der Sonntag ein guter Tag zum Heucheln. Im ligurischen Cervo steht die Kirche des Hl. Johannes Baptist, der nur noch Kerner heißen müsste, um den Schwindel komplett zu machen. „Dem unermüdlichen Einsatz der Bevölkerung, insbesondere der Korallenfischer“, sei der Bau zu danken, verkündet ein kirchliches Merkblatt. „Wenn man bedenkt, dass die Kirche nur aus Steinen vom Meer kommend erbaut ist und diese Steine von Menschenhänden transportiert wurden, kann man sich vorstellen, unter welchen Opfern unsere Vorfahren dieses Meisterwerk erstellt haben und wie stark ihr Glaube an Jesus Christus war.“ Was diesem Hohn hinzuzufügen wäre, lese man bei Brecht nach – oder bei denen, die Brecht ohne Angabe seiner Quellen fledderte.
Wer die Kirche betreten will, wird viersprachig um „Respekt!“ angegangen. Für die Analphabeten gibt es Piktogramme: Kein Lärm und keine kurze Buxe. Rüde mahnt ein Schild: Vorsicht, „Heiliger Ort“! MIR, dem Raumschiff, muss man das nicht sagen – vollständig angelegte Kleidung in der Öffentlichkeit hat allerdings vor allem mit Selbstrespekt zu tun – und nicht mit Ehrfurcht vor einem tragisch überschätzten Windelträger, über den man vom Kirchentraktat noch scharf befragt wird: „Wer ist für dich Jesus Christus? Ist er in deinem Leben eine bedeutende Gestalt oder eine platzraubende Nippfigur, die bei seltenen Anlässen entstaubt wird?“ Nippfigur ist hübsch gesagt – gerade über den Cervo-Jesus, in dessen Haus man zugunsten des Seelenheil-Sperenzchens nicht einmal mehr eine Kerze anzünden, sondern nur noch eine elektrische Glühbirne anknipsen kann. Aus Luthers „Und Gott sprach: Es werde Licht!“ wurde: Der Letzte macht das Licht aus.
So profan geht es zu im heiligen katholischen Italienien. Das Hotel „Provenza“ in Ventimiglia teilt seinen Klienten per Aushang mit: „Es ist streng verboten, in den zimmern kocher jeder art zum speisenaufwärmen, gas, elektrowiderstand, kerosin, und kohlenkocher zu verwenden.“
Quo vadis, Elekrowiderstand? Kerosin, wo willst du hin? Mit Jesus einen nippen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen