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Wer repräsentiert die Deutsch-Türken?

Die Türkische Gemeinde in Deutschland trifft sich zur Bundesdelegiertenkonferenz. Ihrem Vorsitzenden Hakki Keskin werfen Kritiker mangelnde Führungsqualitäten vor

Berlin (taz) – Unter dem Motto „Gleichberechtigung schaffen – das Zusammenleben gestalten“ trifft sich von heute bis Sonntag die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) zu ihrer Bundesdelegiertenversammlung in Hamburg. Die 1995 gegründete Dachorganisation vertritt 200 türkische Vereine und erhebt den Anspruch, Sprecherin der in Deutschland lebenden Türken zu sein. Einige Delegierte kündigten an, den Vorsitzenden der TGD, Hakki Keskin, in Frage zu stellen.

Emine Demirbüken, frühere Sprecherin der Gemeinde und Ausländerbeauftragte in Berlin-Schöneberg, wirft Keskin einen antidemokratischen Führungsstil vor. Zu häufig verbreite er seine persönliche Meinung als Position der TGD. Zu einem Eklat kam es im August, als Keskin die Hilfe der Bundesregierung für die Erdbebenopfer in der Türkei als „unwürdig“ bezeichnete. Der Hamburger Reiseveranstalter und stellvertretende Vorsitzende des TGD, Vural Öger, warf Keskin mangelnde Führungsqualitäten vor und trat von seinem Amt zurück. Öger kritisierte, dass es der Gemeinde auf Grund der Führungskrise nicht gelungen sei, so wichtige Strömungen wie die religiösen und konservativen Kräfte zu repräsentieren.

Auch Organisationen wie der Rat der Türkischen Staatsbürger, die Föderation der Aleviten-Gemeinden, die Deutsch-Türkische Stiftung und das Zentrum für Türkeistudien sind inzwischen von Hakki Keskin abgerückt. In einer gemeinsamen Erklärung sprachen sie ihm „ausdrücklich“ das Recht ab, für „die“ Türken in Deutschland zu sprechen.

Die Chancen einer Abwahl Hakki Keskins schätzt Emine Demirbüken trotz aller Proteste als gering ein. Den Mitgliedsverbänden fehle der Mut für einen Neubeginn, da Kritiker systematisch an den Rand gedrängt würden. Auch Cumali Naz, Mitglied des Bundesvorstands des TGD und Vorsitzender des Ausländerbeirats in München, sieht die Gemeinde in einer Krise: „Bislang schafften es die Führungspersonen nicht, ein offenes Diskussionsklima zu schaffen. Wir müssen den Trend zum Verlassen der Gemeinde stoppen und einen neuen Dialog mit allen demokratischen Kreisen aufnehmen.“ Nur so könne es den Türken gelingen, eine starke Interessensvertretung aufzubauen. Naz legt Wert auf die Feststellung, dass sich seine Kritik gegen keine konkrete Person richte.

Mit Spannung wird auch der Rechenschaftsbericht des Vorstandes erwartet. Denn die TGD deklarierte ihre letzte Bundesdelegiertenversammlung im Januar 1998 als Fachtagung „Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Gewalt“. 15.000 Mark sollte sie dafür von der Auslandsgesellschaft Nordrhein-Westfalen e. V. erhalten. Nach einem Bericht der taz zog die Gesellschaft die zugesagten Gelder zurück.

Als Gastredner sind für den Samstag Bundesinnenminister Otto Schily, Michel Friedman vom Zentralrat der Juden und die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, angekündigt. Eberhard Seidel

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