Sicherheit als EXPOnat

Polizeiexperten haben noch kürzlich mit Blick auf die Weltausstellung in Hannover Bedrohungsszenarien ausgemalt. Inzwischen haben Organisatoren und Behörden „Hochsicherheit“ zum deutschen Exportartikel entwickelt Von Rolf Gössner

Twipsy, das bunte Maskottchen der Expo 2000, wurde in eine Polizeiuniform gesteckt. Dumm nur, dass das Maskottchen ein bisschen wie ein Gangster aussieht: bärbeißig grinsend, mit Augenbinde (oder Hasskappe?) und einer übergroßen dunklen Pranke. Dennoch (oder deshalb?) sei die Figur („Ich bin ein EXPOlizist“) genau der richtige Partner für eine „moderne, demokratische, weltoffene und leistungsfähige Polizei“, schwärmt Polizeipräsident Hans-Dieter Klosa voriges Jahr in der Zeitschrift Die Polizei, denn „Twipsy ist freundlich, flexibel, sehr beweglich, immer in Aktion und hat seinen Blick in die Zukunft gerichtet. So wollen wir uns als Polizei zur Expo 2000 einem Millionenpublikum präsentieren.“

Die Polizei geht schon lange davon aus, dass die Weltausstellung „wie ein Magnet“ auf potenzielle Straftäter wirken wird. Die Deutsche Polizeigewerkschaft erwartet „Heerscharen von Straftätern“ und sieht in der Expo die „größte Herausforderung für die Polizei in der Geschichte der Bundesrepublik“. Schon vor anderthalb Jahren prophezeite deren niedersächsischer Landesvorstand in einem Interview mit der Deister-Weser-Zeitung, dass die ohnehin überlastete Justiz mit der „Springflut“ von Gerichtsverhandlungen nicht fertig werden. Für tausende von Dieben werde es keine Haftplätze geben. Prognostiziert wird ein Zuwachs an Straftaten von bis zu fünfzig Prozent.

Statistisch gesehen werde alle 5,5 Minuten eine Straftat passieren – Bagatelldelikte ebenso wie Verbrechen. Nach Ansicht der Polizeigewerkschaft ist mit „hoch spezialisierten Taschendiebbanden“, mit einem Anstieg von Straftaten nach dem Ausländer- und Asylgesetz sowie mit einer Zunahme der Prostitution und der Rotlichtkriminalität zu rechnen. Das Bundeskriminalamt warnte schon 1998 vor Gewalt gegen Unternehmen, die mit der Expo kooperieren.

Niedersachsens Verfassungsschutz sieht wachsende Risiken durch die linke Antiexposzene, durch Sabotageversuche und vielleicht auch durch Terror. Folgt man dem Verfassungsschutzpräsidenten Rolf Peter Minnier, so reichen die „Risiken“ von Demonstrationen bis zu Selbstverbrennungen, von Geiselnahmen bis zu Anschlägen auf die Infrastruktur in Verkehr sowie Trinkwasser- und Stromversorgung. Theoretisch, so verkündete Minnier in der Hannoverschen Neuen Presse, könnten Konflikte aus 194 Teilnehmerstaaten nach Hannover getragen werden – etwa Terror aus Dagestan, Menschenrechtsproteste zu Osttimor.

Doch für diese sicherheitsstrategischen Spekulationen gibt es bislang selbst nach Erkenntnissen der Polizei keine konkreten Anhaltspunkte. Ein viel näher liegendes Problem könnte den Sicherheitskräften allerdings gehöriges Kopfzerbrechen bereiten: die Aufhebung des Transportstopps für Atommüll. Falls die Bundesregierung einen Castortransport nach Gorleben rollen lassen sollte, verkündete Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, dann werden die Atomkraftgegner mitsamt ihren Treckern „zu den ersten Expobesuchern“ gehören.

Diese Last sei für die Polizei nicht mehr zu „schultern“. Polizeipräsident Klosa befürchtet einen „erheblichen Imageschaden für die Weltausstellung und Deutschland“ und sehe „das nationale Anliegen, die Expo zu veranstalten und reibungslos durchzuführen“, in Gefahr. Die fünfmonatige Expozeit bringt – auch ohne Castortransport – zweifellos allerlei Probleme für Sicherheit und Ordnung.

Doch liest man die prognostizierten Expo-bedingten Kriminalitätszahlen und Gefährdungsanalysen, so drängt sich der Eindruck auf, als müssten wir die Weltausstellung als ein kriminogenes Unternehmen gigantischen Ausmaßes fürchten – ein internationales Festival der Kriminellen aller Länder.

Glaubt man solchen Schreckensvisionen, dann müsste die Expo schleunigst abgeblasen werden. Expo-bedingte Kriminalitätsanreize könnten nur so unterbunden werden. Anreize und Expo gehören nun einmal zusammen – denn (Eigentums-)Kriminalität ist, von allen Seiten unbestritten, ein Wirtschaftsfaktor unter anderen. Staatliche und private „Sicherheitsproduktion“ sind dies im Übrigen auch: Längst werden die Umrisse des Expo-Sicherheitskonzeptes erkennbar.

Die Vorbereitungen bei Polizei, Geheimdiensten, Justiz, Strafvollzug und privatem Sicherheitsgewerbe werden emsig betrieben. Beispielsweise wurden etliche private Sicherheitskräfte rekrutiert. Bis zu sechstausend Polizisten sollen aufgeboten werden. Rund 2.700 Beamte des Bundes (etwa siebenhundert zusätzliche Bundesgrenzschutzkräfte) und aus anderen Bundesländern (knapp zweitausend), tausende Reservekräfte sowie zweihundert Gastpolizisten aus Ländern der EU, aus den Staaten der früheren Sowjetunion, aus den USA, Japan sowie Polen und Tschechien sollen ihre Hannoveraner Kollegen unterstützen.

Englische Bobbys, französische Flics, amerikanische Cops und italienische Carabinieri in ihren landeseigenen Uniformen sollen polizeilichen Internationalismus demonstrieren. Sie müssen einen Schnellkurs in deutschem Recht absolvieren und Deutsch sprechen können. Dann dürfen sie auch Platzverweise und Aufenthaltsverbote nach dem niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz verhängen. Zu diesem Polizeiaufgebot stehen die „Einsatzleitlinien“ in einem gewissen Widerspruch: Die Polizei gehe von einer grundsätzlich friedlichen Veranstaltung aus und wolle daher „zurückhaltend“ auftreten, gegenüber „Störern“ aber „konsequent einschreiten, ohne durch den polizeilichen Einsatz die Veranstaltung zu dominieren“.

Gleichwohl wird über sechs Monate lang in Hannover eine Art von Ausnahmezustand herrschen. Alle Sicherheitskräfte bereiten sich auf die prognostizierten „Expo-bedingten Kriminalitätssteigerungen“ vor. Da es sich nach Auffassung des Innenministeriums in vielen Fällen um ausländische TäterInnen handeln werde, die mangels Wohnsitz im Bundesgebiet in Untersuchungshaft genommen werden müssten, sei es nötig, ein Gefängnis mit 185 zusätzlichen Haftplätzen am Flughafen Hannovers einzurichten. Kosten: 17,85 Millionen Mark.

Darüber hinaus gilt es Staatsgäste zu beschützen, ebenso zahlreiche Objekte und Einzelveranstaltungen. Verkehrslenkung und Absperrmaßnahmen sind zwar übliche Polizeiaufgaben, können aber bei einem geschätzten Andrang von bis zu dreihunderttausend Besuchern pro Tag zum Problem werden. Expo-Personal wird überprüft, ob es die Sicherheit gefährdet. Und gegen Angehörige sozialer Minderheiten, Obdachlose, Bettler, Drogenabhängige kann die Polizei schon wegen (möglicher) geringer Ordnungsverstöße oder Bagatelldelikten einschreiten und sie aus der Stadt verdrängen. Hierzu stehen spezielle präventive und repressive Polizeibefugnisse (Platzverweis, Aufenthaltsverbot, Verbringungs- und Unterbindungsgewahrsam bis zu vier Tagen) zur Verfügung sowie das beschleunigte Verfahren mit Hauptverhandlungshaft.

Bereits im Vorfeld der Expo sind „Sicherheitspartnerschaften“ zwischen Niedersachsen, der Landeshauptstadt Hannover, der Polizeidirektion und dem Bundesgrenzschutz (BGS) geschlossen worden. Solche Kooperationen sind jedoch aus Verfassungsgründen höchst fragwürdig, weil sie den Einsatz des BGS zur Bekämpfung der Alltagskriminalität zur Routine machen – obwohl doch die Polizeihoheit nach dem Grundgesetz prinzipiell Ländersache ist.

Die Kosten für die geplanten Sicherheitsmaßnahmen sind immens; mehr als hundert Millionen Mark lässt sich die Expo-Gesellschaft die Sicherheit kosten. Der Polizeieinsatz während der Expo wird Kosten in Höhe von etwa vierhundert Millionen Mark verursachen, die den öffentlichen Haushalten aufgebürdet werden. Ein Bund-Länder-Abkommen vom Herbst 1999 sieht vor, dass davon der Bund und die übrigen Länder etwa 130 Millionen übernehmen. Obwohl es sich um eine kommerzielle Veranstaltung mit bundespolitischer Bedeutung handelt, hat Niedersachsen die Hauptlast von 270 Millionen zu berappen – allein für die einsatzbedingten Mehrkosten der nach Hannover entsandten Expo-Polizisten und BGS-Beamten etwa 65 Millionen Mark.

Das geht aus der Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Grünen, Silke Stokar, hervor. Weitere zwei Millionen Mark beansprucht das Niedersächsische Landesamt für Verfassungsschutz für 64 Verstärkungskräfte von außerhalb. Es will drei zusätzliche Observationstrupps mit über fünfzig Kräften aufstellen, weitere „Ermittler“ und „Auswerter“ einsetzen und die technische Ausstattung ergänzen. Vorgesehen ist eine nahezu flächendeckende Videoüberwachung rund um die Uhr – mit all den datenschutzrechtlichen Problemen, die damit verbunden sind. Allein auf dem Expo-Gelände sollen 260 Videokameras eingesetzt werden, deren Bilder in der Expo-Sicherheitszentrale zusammen laufen. Auch die Deutsche Bahn will hundert leistungsstarke Kameras zur Überwachung gefährdeter Bereiche installieren, und die Straßenbahngesellschaft „Üstra“ weitere 250 Überwachungskameras.

Nur schwer lässt sich noch zwischen rationalen, unabdingbaren Sicherheitsmaßnahmen und solchen unterscheiden, die auf unhaltbare Prognosen und Horrorszenarien gestützt werden. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Sicherheitsstrategen ihrer Gefährdungsanalyse und Sicherheitskonzeption Prognosen, Szenarien und Besucherzahlen (vierzig Millionen) zu Grunde legen, die lediglich die enormen Anstrengungen und Kosten rechtfertigen sollen.

Die konkreten Sicherheitsvorkehrungen scheinen zunehmend von der Angst diktiert, die Bundesrepublik und speziell Niedersachsen könnten einen schweren Rufschaden erleiden, wenn die Sicherheitskräfte vor den Augen der Weltöffentlichkeit unsicher würden. Deshalb müssten Polizei und Justiz massiv verstärkt, Strafverfolgung und -vollstreckung stark intensiviert und die Kapazität der Haftplätze aufgestockt werden.

In dieser Herausforderung liege aber auch, so die Gewerkschaft der Polizei, „die große Chance“ der Polizei, „ihr Knowhow und ihre Fachkompetenz zur Bewältigung solcher Großlagen unter Beweis zu stellen und ihr Ansehen auf der ganzen Welt zu manifestieren“. Ganz ähnlich Polizeipräsident Klosa, für den die Expo eine „in der deutschen Polizeigeschichte einmalige Chance“ bietet, „sich als professioneller Sicherheitspartner der Menschen zu präsentieren“.

Die Weltausstellung soll also deutsche Polizeigeschichte schreiben: Deutsche Hochsicherheit als Expo(rt)schlager, ausgebreitet vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Nur: Wie verträgt sich diese Inszenierung dann noch mit dem Wunschimage Hannovers, sich als weltoffene, gastfreundliche Stadt zu zeigen?

Rolf Gössner, Rechtsanwalt und rechtspolitischer Berater von Bündnis 90/Die Grünen im Niedersächsischen Landtag. Autor zahlreicher Bücher zu Bürgerrechtsthemen, u. a. „Erste Rechtshilfe – Rechts- und Verhaltenstipps im Umgang mit Polizei, Justiz und Geheimdiensten“, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 1999, 383 Seiten, 39,80 Mark