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Die Überväter und ihre Ziehsöhne

Das Debakel der CDU sorgt auch in Hamburgs Union für eine Zäsur. Der Burgfrieden zwischen Ole von Beust und Dirk Fischer hält nicht mehr  ■ Von Peter Ahrens und Sven-Michael Veit

Im Fernseher läuft die Tagesschau. Irgendwo in den Tiefen der hessischen CDU, liest die Sprecherin vor, seien wieder ein paar Millionen aufgetaucht oder unauffindbar oder was auch immer. Vor dem Fernseher im Korrespondentenbüro des Hamburger Rathauses sitzen drei CDU-Abgeordnete und zu-cken nur die Schultern.

Es ist Mittwoch nachmittag, die Bürgerschaftssitzung plätschert vor sich hin. Vor einer Stunde hat Fraktionschef Ole von Beust vor dem Hamburger Parlament Gesetzesverstöße der CDU „ohne Wenn und Aber“ eingeräumt. Nebenan, in der Handelskammer, tritt gerade Helmut Kohl vor die Versammlung ehrbarer Kaufleute.

Nach einer neuen Meinungsumfrage, liest die Frau von der Tagesschau vor, liege die CDU bundesweit nur noch bei 29 Prozent. „Guck mal“, sagt der erste CDU-Abgeordnete zum zweiten, „29 immerhin noch.“ Der dritte lacht tro-cken auf: „So viel? Was schlucken die Leute denn noch alles?“. Der erste und der zweite Abgeordnete gucken sich an. Und zucken die Schultern.

Hamburgs CDU steht vor einer Zäsur. Alle in der Partei wissen das, aber kaum jemand mag es offen aussprechen. Die Antwort auf die Gretchenfrage „Und wie hältst Du es mit Helmut Kohl“ ist spätestens seit des einstigen Übervaters Auftritt vor der Handelskammer zum Maß aller Dinge in der Hamburger Union geworden. Und damit auch die Frage nach der Parteiführung an der Elbe.

Der Burgfrieden hält nicht mehr zwischen Parteichef Dirk Fischer und dem Fraktionsvorsitzenden Ole von Beust. Bislang haben die beiden prominentesten Ziehsöhne des einstigen Hamburger CDU-Alleinherrschers Jürgen Echternach sich nur verbale Scharmützel geliefert. Ob der 44-jährige moderne Konservative von Beust nun die Machtprobe mit dem 15 Jahre älteren stockkonservativen Fischer wagt, ist noch offen. Beim Landesparteitag am 19. Februar will Fischer erneut für den Parteivorsitz kandidieren, und von Beust will wieder als Vize antreten. So ist der Stand zumindest zurzeit.

Und daran werde sich auch nichts ändern, glaubt Antje Blumenthal. Die Stellvertreterin der beiden in Fraktion und Partei denkt nicht daran, „sich alles vom Verhalten Kohls kaputt machen zu lassen“. Das Interesse der Medien an dieser Sache werde irgendwann nachlassen, „und dann müssen wir programmatisch und inhaltlich wieder was vorzuweisen haben“. Wenn „manche Herren“ sich gegenseitig „an ihrem Verhältnis zu Kohl messen“, um eine Kraftprobe inszenieren zu können, sei das nicht ihre Sache und obendrein falsch.

Der Ortsverband Nienstedten sieht das anders. Er hat gestern angekündigt, Fischer nicht mehr zu unterstützen. Er sei „ein Teil des Systems Kohl“. Fischer weist das als „Quatsch“ zurück: „Wenn jeder einfache Abgeordnete als Teil des Systems Kohl bezeichnet würde, dann wäre das wohl die Massen-Selbstverbrennung der CDU.“ Er jedenfalls werde wieder zur Vorsitzenden-Wahl antreten, und wenn ein Ortsverband ihn dabei nicht bestärken wolle, dann „muss ich das eben akzeptieren“.

Parallelen zwischen dem „Sys-tem Kohl“ und dem „System Echternach“ seien an den Haaren herbeigezogen. „Im Finanzbereich gab es in Hamburg kein System Echternach – bereits das ist der große Unterschied.“ Den Vorwurf, der Hamburger Übervater Echternach habe, ähnlich wie der Pfälzer, Kritiker systematisch mundtot gemacht, will Fischer nicht akzeptieren: Immerhin habe er „kritische Köpfe wie Volker Rühe“ gefördert. „Klar hat Echternach Macht ausgeübt, aber das tut ein Gerhard Schröder auch.“

In der Ägide Echternach regierte in der Hamburger CDU der „Freundeskreis“ des Parteichefs und Bonner Finanzstaatssekretärs. Wer zu diesem Zirkel keinen Zutritt hatte, war so gut wie chancenlos. Die damalige Hinterzimmerkungelei um Posten und Pfründe wurde 1993 vom Hamburger Verfassungsgericht jäh beendet. Es erklärte Echternachs System der Kandidatenaufstellung bei der vorangegangenen Bürgerschaftswahl „für undemokratisch“ und verordnete Neuwahlen in der Hansestadt.

Prozessbevollmächtigter der Hamburger Union in dem Verfahren war ein aufstrebender Rechtsanwalt und Bürgerschaftsabgeordneter namens Ole von Beust. Mit einer juristischen Niederlage begann dessen steiler Aufstieg in der Fraktion, wenn er sich auch bis heute die Macht in der Partei mit Fischer teilen muss.

Das jetzige bundesweite Debakel der CDU dürfte dies ändern.

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