Gastkommetar
: Keine Empörung?!

■ Ausländerbeauftragte Marieluise Beck (Grüne) zum CDU-Neujahrsempfang

Der spektakuläre Empfang, der Helmut Kohl in der Handwerkskammer der Hansestadt Hamburg bereitet wurde, fand zwei Tage später bei dem Neujahrsempfang der Bremer CDU seine Fortsetzung. 4.000 begeisterte Bremer feierten den Auftritt des Kanzlers der deutschen Einheit, der in ungebrochenem Selbstbewußtsein sein Ehrenwort als Geste eines Ehrenmannes präsentierte, der sich durch die nickelige Kleinkrämerei der Parteiführung und der Öffentlichkeit nicht beirren läßt. Die Führung der lokalen CDU beeilte sich, auf dem obligaten Pressefoto nicht zu fehlen: Sowohl der Bremer Landesvorsitzende Bernd Neumann – von dem anderes als Kohls rechte Hand des 90er Ostwahlkampfes nicht zu erwarten war – als auch Bürgermeister Hartmut Perschau und der Fraktionsvorsitzende Jens Eckhoff posierten neben Helmut Kohl, als habe es die vergangenen Wochen nicht gegeben.

Hamburg war also kein Ausreißer: Die demonstrative Geschlossenheit der Bremer CDU-Führung und die ungebrochene Anhängerschaft der Parteibasis werfen ein krasses Licht auf den langen Weg, den die CDU im Prozeß der inneren Selbstreinigung noch vor sich hat.

Während das Tandem Merkel/Schäuble die Parteimitgliedschaft Helmut Kohls nunmehr unverhohlen in Frage stellt, kann Kohl mit Rückendeckung einzelner Landesverbände weiterhin ein Bad in der Menge nehmen. Die Spaltung der CDU könnte dramatischer nicht sein, der Bremer Empfang hat mit einem Schlag offengelegt, dass der von Schäuble benannte Anfang vom Ende viele Deutungsmöglichkeiten zulässt.

Die braven Bürger des Festes konnten durchaus Gefallen an ihrem unbeirrbaren Altkanzler finden. Was ist schon eine Verfassung, was ist schon das Transparenzgebot für die Parteien gegenüber dem Ehrenwort eines umjubelten Patriarchen? Wenn bis dato die bundesdeutsche Öffentlichkeit davon ausging, dass sich fast 20 Jahre nach dem Flick-Skandal Parteien und ihre Führer nicht über Recht und Gesetz stellen dürfen, so kann nunmehr wieder Zweifel aufkommen.

Und es sind nicht nur die unverbesserlichen CDU-Anhänger gewesen, die den demokratischen Aufklärungsprozess und die Suche nach Wahrheit eher als lästig empfinden. Es gab keine vernehmbare Empörung in der für ihre liberale und demokratische Tradition sich rühmende Stadt. Die Nachfrage, aus welchen Taschen und auf welchem Wege dem Bremer CDU-Vorsitzenden Neumann in den neunziger Jahren ein Betrag in sechsstelliger Höhe zugeflossen ist, bedrängt weder die zentralen Bremer Medien noch die politische Öffentlichkeit. Der sozialdemokratische Koalitionspartner hat mehr Interesse am Burgfrieden als an der kritischen Frage, mit wem er es als Partener zu tun hat. Oder sind wir schon an dem Punkt, wo es nicht mehr interessiert, weil neben Hessen, Rheinland-Pfalz, neben Leunau und Thyssen das System Kohl nur als politisches Kavaliersdelikt eingestuft wird? Marieluise Beck