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Das falsche Fernsehen

Schillernacht der Autoren: Das Maxim-Gorki-Theater ist in den Westen umgezogen und eröffnet die Spielzeit mit 20 Uraufführungen

Schillernacht der Autoren: zwanzig Uraufführungen, zwanzig Regisseure, zwanzig Orte. Lebendiges Theater trifft totes Theater, das Maxim-Gorki-Theater eröffnet seine Spielzeit im Schiller-Theater.

Das Haus Unter den Linden wird umgebaut, und darum gehen im Koloss an der Bismarckstraße noch mal die Lichter an. Aber um ein Theater zum Leben zu erwecken, braucht es vor allem Zuschauer, und die kamen in Massen an diesem Abend. Strömten durch Foyers, Werkstätten und lange Flure, studierten Lagepläne und standen vor verschlossenen Türen: „Kein Einlass mehr, Vorstellung läuft. Ist sowieso überfüllt.“

Also zurück und in eine andere Schlange eingereiht, Platz erkämpft, Nummer gezogen. Diesmal kommt man rein. Schauplatz große Bühne. Thema: lebende Autoren beschwören die Geister der Toten. Anna Langhoff lässt zwei Engel auftreten, einen Autor und einen Regisseur, die etwas über die Liebe zu sagen haben. Die Liebe auf dem Theater, versteht sich.

Später macht sich ein sowjetischer Wissenschaftler (im Auftrag von Autor Uwe Mengel) an der Leiche Schillers zu schaffen, mit durchaus komischen Folgen. Goethe kommt aus seinem Sarg, und später hören wir Erstaunliches vom Begräbnis Heiner Müllers, von Moritz Rinke aufgeschrieben. Vorher kommt noch eine Horde Furcht erregender Tschechow-Darsteller über uns, die Thomas Jonigk ins Rennen schickt. „Sie lieben das Leiden und die Langeweile?“, röhrt da eine hinreißend dramatische Dampfwalze aus dem Gorki-Ensemble (Ursula Werner): „Dann gehen sie zum Theater!“

Ein paar alte Schaubühnen-Schauspieler im Publikum machen entsetzte Gesichter. „Ach, was ihr für traurige Gesichter macht!“, sagt beim Rauskommen eine komische Gestalt, die zwischen lauter Gummifiguren in einem Sandkasten sitzt. Hier gab es, so hört man, soeben eine Kurzfassung von Schillers Räubern zu sehen, aufgeführt von Manfred Meihöfers Vereinigtem Gummitierensemble. Vielleicht wäre man lieber hier geblieben?

Zum Nachdenken ist keine Zeit, der nächste Termin drängt. Von blassen jungen Leuten in schwarzen Gorki-Shirts werden wir in den Bauch des Theaters geführt. Im Malersaal ein wildes Beziehungsdrama von Margreth Oberexer. Amerikanisches Mädchen trifft deutschen Dichter, der natürlich Wilhelm heißt und gerne Shakespeare wäre.

In der Schreinerei können wir dann sehen, wie sich Moritz Rinke Brecht bei der Arbeit vorstellt. An den Werkbänken stehen alte Schreibmaschinen. Der Meister kommt aus seiner Vorarbeiterklause geklettert, denn es ist keiner zur Arbeit erschienen. Staffel A nicht, die heute weiter am „Lukullus“ arbeiten sollte, und Staffel B auch nicht. „Margarethe!“, schreit der arme BB, „wie schreibt man überhaupt Lukullus? Marie-Luise! Ruth! Und – Helene, ich hab’ auch Hunger!“ Das Publikum gluckst, und Brecht muss selber arbeiten. Stemmt Buchreihen, die in Schraubzwingen klemmen, hobelt an irgendwelchen alten Büchern herum. Heftiges Maschinengeräusch, Bohrer in Buchseiten, Hammer auf Buchdeckeln: Szenen aus dem schweißtreibenden Alltag eines Plagiators.

Dann weiter, in die Kaschierwerkstatt, wo wir wieder Schillers Geist begegnen, dann weiter in die Schlosserei, wo es auch einen Toten gibt. Irgendwann nach Mitternacht kommt man aus dem Tonstudio, aus „Gunda Life“, einem naturalistischen Drama aus dem Jammertal der Talkshows von Sybille Berg. Talkshowgäste wetteifern, wer das versauteste Leben hat. Geschändete Säuglinge, Wichsmaschinen und Einfamilienhaus-Ödnis. Falsches Fernsehen im richtigen Theater. Auch eine Alternative. Esther Slevogt

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