: Blaues Blut will Medaille
Die deutschen Handballer verpatzen ihren Start in eine ansonsten bislang ansehnlich angelaufene EM ■ Aus Zagreb Anke Barnkothe
„Why are you here? For the elections or for the championship?“, lautet die meistgestellte Frage des vergangenen Wochenendes in den Hotels der tiefverschneiten kroatischen Hauptstadt Zagreb. Doch die Flut internationaler Journalisten nach Kroatien dürfte die einzige Gemeinsamkeit sein zwischen dem heute stattfindenden ersten Wahlgang zur Präsidentennachfolge von Franjo Tudjman und der Handball-Europameisterschaft der Männer. „Insgesamt 500 akkreditierte Medienvertreter, das ist absoluter Rekord für eine EM“, sagt Pressechef Drazen Pinević und befindet mit einer Mischung aus Stolz und Augenzwinkern: „Die Organisation hier entspricht doch deutschen Verhältnissen, oder?“
Aber: So deutsch der reibungslose Ablauf des Turniers und die Versorgung der Kolleginnen und Kollegen mit statistischen Informationsmaterialen auch sein mag, die deutschen Spieler scheinen sich trotzdem nicht sonderlich heimisch zu fühlen. Durch die 21:20-Niederlage am zweiten Spieltag gegen Gastgeber Kroatien, tat das 24:24 Auftaktunentschieden gegen den Handball-Nobody Ukraine erst richtig weh. Da war nicht einmal mehr Markus Baur, der am Sonnabend seinen 29.Geburtstag feierte, zum Lächeln zu Mute. Dabei spielt der Regisseur von der SG Wetzlar bisher den solidesten Part im Dress der Deutschen und das, obwohl ihn seit geraumer Zeit eine hartnäckige Wadenzerrung plagt.
Doch die Verletzungsmisere ist die Hauptursache für den deutschen Fehlstart bei der erstmals im Januar stattfindenden Europameisterschaft. Bundestrainer Heiner Brand fehlen nicht nur der Nettelstedter Rückraumroutinier Bogdan Wenta und Kreisläufer Christian Schwarzer, die schon im Vorfeld absagen mussten, auch die entscheidenden Spieler vor Ort leiden entweder noch an den Nachwirkungen ihrer Verletzungen aus dem vergangenen Jahr oder sind Grippe geschwächt. So auch die Lemgoer Daniel Stephan und Volker Zerbe: Stephan, der Welthandballer des Jahres 1999, läuft seiner Form aufgrund einer nicht heilen wollenden, komplizierten Daumenfraktur bereits seit mehr als einem halben Jahr hinterher. Zerbe, dem einzigen Linkshänder im rechten Rückraum, fehlt nach Fingerbruch und Virusinfektion noch die Luft für 60 Minuten. Und da Handballspiele immer noch im Rückraum entschieden werden, steht es nicht gut um die deutsche Mannschaft. Schwacher Trost wie Grund zur Beunruhigung, das die Gegner von der Problematik wissen. So hat Andrej Golić, Spielmacher der wiedererstarkten französischen Equipe, gegen Kroatien ein leidenschaftlich kämpfendes und mit Pech verlierendes deutsches Team gesehen. Und nach Einschätzung des spanischen Nationaltrainers Juan de Dion Roman Seco hat der Heimvorteil dem überalterten kroatischen Team Flügel verliehen.
Im Übrigen verlief der Auftakt der EM 2000 lediglich aus dem Blickwinkel von Brand und seinen Spielern nicht nach Wunsch. Nicht nur die Kollegen aus der Bundesliga (63 von 192 teilnehmenden Spielern verdienen ihr Geld in der höchsten deutschen Klasse) zeigen schönsten Handball. Schon in der Vorrunde gibt es kein langes taktisches Geplänkel. Die Partien sind spannungsgeladen, mitreißend und zumeist auf sehr hohem Niveau. Die stets gut gefüllten Arenen tun ein Übriges: Sowohl der achttausend Zuschauer fassende „Dom sportov“ in Zagreb als auch die Halle im zweiten Vorrundenort Rieka, wo Zuschauermagnet Slovenien gegen Island, Schweden, Dänemark, Portugal und Russland spielt. Deutschland muss sich nach der gestrigen Partie gegen Frankreich (nach Redaktionsschluss) morgen noch mit Norwegen auseinandersetzen.
Donnerstag geht es zum Vorrundenabschluss gegen die immer mehr in die Favoritenrolle wachsenden Spanier: Das Team um Inaki Urdangarin, dem Schwiegersohn des spanischen Königspaares, zeigte sowohl beim 25:21 über Norwegen, vor allem aber beim eindrucksvollen und zu keiner Zeit gefährdeten 27:22-Sieg über die Gastgeber, das es sich auch von 7.000 frenetischen kroatischen Fans nicht vom Medaillenkurs abbringen lässt, auch wenn die Kroaten “U boj, u boj za narod svoj – Im Kampf, im Kampf für unser Land“ skandieren. Immerhin finden nun auch hier Auseinandersetzungen lediglich in Sporthallen oder Wahllokalen statt.
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