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„Killing Fields“ in Anatolien

Fast täglich werden in der Türkei neue Leichen entdeckt: Opfer der Hisbullah. Wahrscheinlich starben sie mit Billigung des Staates ■ Aus Istanbul Dilek Zaptçioglu

Die Nachrichten übertreffen den schlimmsten Horrorfilm: Seit Tagen gräbt die türkische Polizei überall im Land Leichen aus, in einem Zustand, der es sogar Verwandten nicht ermöglicht, die Identität festzustellen. Die Todesumstände ähneln sich: Tod durch „mangelnde Sauerstoffzufuhr“. Die Leichen weisen Folterspuren auf, manche haben Betonnägel im Schädel. Einige wurden bei lebendigem Leibe begraben. Fast stündlich werden neue „Todeshäuser“ entdeckt, die Zahl der gefundenen Leichen stieg gestern auf 31.

Der von den Medien „Killing Fields“ getaufte Horror begann vor einer Woche mit einer Operation im asiatischen Teil Istanbuls. Scharfschützen lieferten sich dort ein halbtägiges Schussgefecht mit drei Angehörigen der radikalislamistischen Hisbullah, bei dem der Kopf der Organisation, Hüseyin Velioglu, getötet wurde. Zwei seiner Anhänger wurden gefangen. Sie gestanden und gaben Namen und Orte preis.

Ministerpräsident Bülent Ecevit, in dessen Amt ein Beamter ein Hisbullah-Anhänger gefasst wurde, sprach von „einer Organisation, schlimmer als die PKK“. Zweihundert weitere Vermisste, vor allem aus dem Osten und Südosten des Landes gilt es noch zu finden. Insgesamt wird von über tausend Opfern gesprochen, die die Hisbullah in den gut fünfzehn Jahren ihres bewaffneten Kampfes bestialisch umgebracht haben soll.

Dieser Kampf begann Mitte der 80er-Jahre im südöstlichen Städchen Batman. Islamisten, die sich nach dem Putsch 1980 von den rechtsradikalen „Grauen Wölfen“ abgespalteten hatten, gründeten ihre ersten Vereinigungen. Iran war das Vorbild, der Gottesstaat das Ziel.

Der Name „Hisbullah“ taucht erstmalig 1984 im Zusammenhang mit Raubüberfällen in den Polizeiberichten auf. Die Organisation verzichtete auf Publikationen und baute vermutlich mit iranischer Unterstützung eine höchst konspirative Hierarchie auf, in der nur die Obersten über die Mitglieder Bescheid wussten.

Nach den jetzigen Ermittlungen soll die „Partei Gottes“ ihre Finger auch in den spekulärsten Fällen der 90er Jahre gehabt haben, wie beim Brandanschlag gegen den inzwischen verstorbenen laizistischen Schriftsteller Aziz Nesin und alewitische Intellektuelle 1993 in Sivas oder bei den Mordanschlägen auf die Kolumnisten der Tageszeitung Cumhuriyet, Ugur Mumcu und Ahmet Taner Kislali. Auf ihr Konto gehen jedoch vor allem hunderte von Attentaten auf kurdische, der PKK nahestehende Politiker, Journalisten und Geschäftsleute im Südosten des Landes.

Jahrelang wurde von Oppositionellen der Verdacht geäußert, die staatlichen Sicherheitskräfte würden die Hisbullah gegen die PKK ausspielen. Der Staat würde ihre Mordaktionen dulden, wenn nicht gar unterstützen. Das scheint sich jetzt zu bestätigen: Der Leitartikler von Hürriyet, Oktay Eksi, meint, „ohne Unterstützung wären sie nie so erstarkt“. Güngör Mengi vergleicht den Staat in Sabah mit Dr. Frankenstein, und der Chefredakteur von Turkish Daily News, Ilnur Cevik, spricht von „Geistern, die der Staat rief und nicht mehr loswurde“.

Die anhaltenden Untersuchungen sprechen dafür, dass sich die Regierung jetzt genau dafür entschieden hat. Seit PKK-Chef Abdullah Öcalan in Haft sitzt, ist man auf die Hilfe der Islamisten nicht mehr angewiesen. Dass die erste Operation in Istanbul ausgerechnet mit dem Besuch des iranischen Außenministers Kamal Charrasi zusammenfiel, wird als „Signal an Teheran“ bewertet. Hisbullah-Mitglieder gestanden, Ausbildungsaufenthalte in der Islamischen Republik verbracht zu haben.

Offiziell hält sich die türkische Regierung jedoch mit Vorwürfen an Iran zurück. Die Zusammenhänge könnten noch komplizierter sein: In der in London erscheinenden arabischen Zeigung al-Hayat schreibt der Kommentator Jussuf Scharif, die reformorientierte iranische Regierung um Präsident Mohammad Chatami würde die Türkei bei den jüngsten Operationen unterstützen, um vor den Parlamentswahlen am 18. Februar den radikalen Flügel der Teheraner Theokraten unter Druck zu setzen.

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