Ein neues Sicherheitsbündnis für den Kaukasus

Transkausische Staaten wollen auf dem GUS-Gipfel einen neuen Bund gründen

Moskau (taz) – Heute tagt in Moskau der erste GUS-Gipfel bei dem neuen russischen Gastgeber, Wladimir Putin. Im Vorfeld begann gestern ein separates transkaukasisches Gipfeltreffen. Die Führer Armeniens, Georgiens und Aserbaidschans trafen sich mit Putin zu Zweiergesprächen und wollen noch alle gemeinsam konferieren. Dabei brüten sie an einem Projekt, das zur Sensation auf dieser Tagung werden könnte. Sie erwägen die Gründung einer Supervereinigung, einer transkaukasischen Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit nach dem Vorbild der OSZE.

Dass diese Union weltweit sehr ernst genommen würde, bezeugen die Beitrittswünsche der Türkei, des Irans und sogar der USA, die man selbst als geografischer Kretin nicht ohne weiteres im Kaukasus ansiedeln kann.

Die GUS hat als Integrationsinstrument versagt. Seit 1991 ist das Handelsvolumen zwischen den Mitgliedern jährlich um 15 bis 20 Prozent gesunken. Die neue transkaukasische Organisation würde den müden Bund in einer großen Region überflüssig machen.

Schon lange hat sich genug politischer Zündstoff angesammelt, um den Transkaukasus zum nächsten Jugoslawien zu machen. Erstens schwappt der Tschetschenienkrieg bereits über die Grenzen nach Georgien und Aserbaidschan. Daran ändert auch die beleidigte Miene nichts, die die Staatschefs, Eduard Schewardnadse und Haidar Alijew, auf Moskaus Vorwürfe hin annehmen, ihre Länder dienten den Tschetschenen als Nachschubbasen. Zweitens befinden sich die Verhandlungen im Rahmen der so genannten Minsker Gruppe der OSZE über den Status der von Armeniern bewohnten Enklave Berg-Karabach auf aserbaidschanischem Gebiet in der Sackgasse. Drittens kam es in letzter Zeit zu Spannungen zwischen Aserbaidschan und Georgien wegen einer geplanten Pipeline für das Erdöl aus dem kaspischen Schelf. Sie soll von Baku über Tbilissi zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan führen. Georgiens Forderungen für den Transport scheinen seinen Nachbarn unangemessen hoch.

Die Idee, dieses Pulverfass durch wirtschaftliche Integration und gegenseitige Sicherheitsgarantien der dortigen Staaten zu entschärfen, lag in der Luft. Auf der OSZE-Konferenz von Istanbul im vergangenen Dezember führte Armeniens Präsident Kotscharian aus, dass eine Regulierung der Konflikte in der Region nur im Rahmen einer solchen größeren Struktur gelingen könne.

Auf dem gleichen Forum griff Aserbaidschans Präsident Haidar Alijew den Vorschlag auf und regte an, so bald wie möglich einen Sicherheitspakt im Südkaukasus zu unterzeichnen. Bei einem Staatsbesuch in Tbilissi forderte kürzlich der türkische Präsident Süleyman Demirel die Gründung eines „kaukasischen Paktes für Sicherheit und Zusammenarbeit“ im Rahmen der OSZE. Schewardnadse schloss sich an. Doch Friede-Freude-Eierkuchen-Rufe sind verfrüht. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass hinter den fast gleich lautenden Vorschlägen zwei unterschiedliche Projekte stehen.

Nach einer russischen Konzeption sollen sich nur benachbarte Staaten zusammenschließen, darunter auch Russland und der Iran. Dagegen wollen Aserbaidschan, die Türkei und Georgien in den transkaukasischen Sicherheitspakt die USA und die europäische Gemeinschaft als Garanten mit hineinnehmen, den Iran ausschließen. Armenien laviert geschickt zwischen diesen Positionen.

Unterdessen haben die USA den GUS-Gipfel auf eigene Weise vorbereitet. Am 19. und 20. Januar tagte in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku eine halbe Hundertschaft amerikanischer Politiker und Diplomaten. Darunter der Sonderbeauftragte des amerikanischen Präsidenten für die kaspische Region, John Wolf, der Koordinator der US-Wirtschaftshilfe für die GUS-Staaten William Taylor, die amerikanischen Botschafter aus Moskau und Ankara sowie sämtlicher transkaukasischen und mittelasiatischen Staaten.

Nachdem die kaspischen Pipelinep-Projekte, an denen die Amerikaner finanziell beteiligt sind, auf der Stelle trippeln, versuchen sie ihr wirtschaftliches Engagement in der Region durch politisches und militärisches zu ergänzen. Wenn der kaukasische Friedens- und Stabilitätspakt eine pro-amerikanische und Nato-Orientierung annähme, wäre Russland an seiner Südgrenze mit einem mächtigen Gebilde konfrontiert, das es aus dieser Region verdrängte.

Sollte es Wladimir Putin aber heute gelingen, sich an die Spitze dieses Zuges zu setzen – zum Beispiel durch die Unterzeichnung eines Absichtsprotokolls zur Schaffung eines transkaukasischen Sicherheitssystems –, wäre dies der erste Schritt zur Wiederherstellung der russischen Dominanz in der Region.

Kompromisse zwischen den verschiedenen Konzeptionen für die neue Organisation, zum Beispiel in Bezug auf den Iran, sind denkbar. Was in der Politik allgemein gilt, trifft auf die Staaten dieser Region in besonders hohem Maße zu: Sie haben keine stabilen Freundschaften, nur stabile Interesen. Barbara Kerneck