: Kontrapunkt zu Weltbank und IWF
Entwicklungspolitische und kirchliche Gruppen fordern eine öffentliche Debatte über die wirksame Regulierung der Finanzmärkte ■ Aus Frankfurt/Main Katharina Koufen
„Die Kapitalmarktliberalisierung hat nicht nur den Leuten nicht den versprochenen Wohlstand gebracht, sondern auch die Krisen, bei denen die Löhne um 20 oder 30 Prozent gesunken sind und die Arbeitslosigkeit um den Faktor 2, 3, 4, oder 10 Prozent angestiegen ist.“ Dieses Zitat stammt nicht von Gregor Gysi, sondern vom Weltbank-Chefökonomen Joseph E. Stiglitz. Dessen Tage bei der zweitwichtigsten Finanzinstitution der Welt sind gezählt: Man hat Weltbank-Chef James Wolffensohn nahe gelegt, sich von seinem Mitarbeiter zu verabschieden, sollte ihm an seiner Wiederwahl gelegen sein.
Kein Wunder: Denn so gerne an den nationalen Grenzen festgehalten wird, solange es um Einwanderung geht, so unerwünscht sind sie, wenn sie den weltweiten Kapitalfluss behindern. Die Idee, dass Geldanlagen möglichst frei über den Globus floaten sollen, dominiert nicht nur bei der Weltbank, sondern auch unter den meisten Wirtschaftswissenschaftlern und an den Börsen. Den Wohlstandsgewinn eines schrankenlosen Finanzmarktes anzuzweifeln, gilt in solchen Kreisen als nicht zeitgemäß.
Allerdings mehren sich die Gegenstimmen: „Nicht mehr gewählte Regierungen bestimmten das Geschehen, sondern die Vorstände großer Unternehmen“, fasste Günter Grass einmal zusammen, warum immer mehr Menschen nicht mehr an die Wohlstandsmehrung glauben wollen. Deutlich wird das in Frankreich, wo sich im Juni 1998 das „Bündnis für die Besteuerung von Finanztransaktionen zur Hilfe der Bürger“ (ATTAC) zusammengetan hat. Und deutlicher soll es künftig auch in Deutschland werden: Am Wochenende trafen sich rund 100 Menschen in Frankfurt, um auch in Deutschland eine entsprechende Gruppe ins Leben zu rufen: entwicklungspolitische Verbände wie Weed, Venro, Germanwatch, Südwind, die Stiftung Umverteilen und die Informationsstelle Lateinamerika, kirchliche Gruppen wie Pax Christi, KAIROS Europa und Missio, lokale Verbände und die Jusos.
„Jahrelang hat man von den Bürgern gefordert, sie sollen sich an die Märkte anpassen. Wir fordern: Die Märkte sollen sich wieder an die Bedürfnisse der Bürger anpassen“, sagte ATTAC-Sprecher Bruno Jetin. „Die Geldwertstabilität ist zum höchsten Ziel der Wirtschaftspolitik geworden, dem sich alles andere unterordnen muss“, kritisierte Peter Wahl vom Bonner Entwicklungsverband Weed. Seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems 1973, das feste Wechselkurse garantieren sollte, haben sich die Regierungen immer mehr vom magischen Dreieck – Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum und Geldwertstabilität – entfernt. Wahl: „Betrug das Verhältnis des Anteils des ärmsten Fünftels der Weltbevölkerung am Welteinkommen zu dem des reichsten Fünftels vor 40 Jahren noch 30 zu eins, so verfügen die wohlhabenden 20 Prozent inzwischen über 74-mal so viel wie die am untersten Ende der Skala.“ Während die Löhne sänken, würden die Kapitaleigner immer reicher.
Das in Frankfurt geschaffene Bündnis fordert eine wirksame Regulierung der internationalen Finanzmärkte: Devisentransaktionen sollen künftig besteuert werden (siehe Kasten), Geldgeschäfte in Steuerparadiesen wie die Cayman-Inseln oder Liechtenstein oder Monaco per Gesetz verboten werden. Die Geldanleger würden bei Verlusten selbst haften. Bislang gilt in der Praxis: Im Krisenfall werden die Anleger über einen Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) an das betroffene Land entschädigt. Der Kapitalzufluss in die einzelnen Staaten soll reguliert weren, etwa über eine Bardepotpflicht, wie sie in Chile bereits praktiziert wird.
Forderungen, die regelmäßig bei den Tagungen der Weltbank und des IWF laut werden, die Bankenaufsicht und die „Transparenz auf den Märkten“ solle erhöht werden, hält Wahl für unzulänglich: „Man erhöht die Brandsicherung, indem man eine Standleitung zur Feuerwehr legt. Brennen wird es deshalb nicht seltener.“
In Frankreich sind im letzten Jahr mehr als 100.000 Unterschriften für die Einführung einer Tobin-Steuer auf Devisentransaktionen gesammelt worden. Mehr als 15.000 Franzosen sind Mitglied von ATTAC. Intellektuelle arbeiten zusammen mit Obdachlosenverbänden, Gewerkschaften und kirchlichen Gruppen. Le monde diplomatique berichtet regelmäßig über die Fortschritte.
Auch das deutsche Bündnis will eine Debatte über die Möglichkeiten der Kapitalkontrollen entfachen, kündigt Mitorganisatorin Anja Osterhaus an. „Die Menschen müssen sich darüber klar werden, was Globalisierung mit ihrem Alltag zu tun hat.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen