: Ko(h)lonien und Korruption
Machtverhältnisse im Übergang: Hat die DDR für Deutschlanddenselben korrumpierenden Effekt wie die Kolonien für Frankreich?
Frankreich hatte immer seine Kolonien. Erst offiziell. Dann, seit den 50er- und 60er-Jahren, inoffiziell. Zwar heißen die Kolonien seit der Dekolonisierung politisch korrekt: „frankophone Länder“. Doch sind sie in vielen Fällen nur formal unabhängig. Nachdem das „Mutterland“ abgezogen war, nisteten sich überall da, wo es lohnte, große Konzerne in dem Vakuum ein.
Die meisten davon kamen aus Frankreich, und sie übernahmen alles, was ihnen die Kolonialverwaltung vor Ort hinterließ. Einschließlich deren Einfluss auf die örtlichen Verhältnisse. Die großen Konzerne holen die Rohstoffe aus den Ländern heraus; sie bestimmen, wer dort Karriere macht und wer nicht, und sie wickeln okkulte Geschäfte ab.
Denn wie einst die Kolonien dienen heute manche unabhängigen frankophonen Länder dazu, Geschäfte zu organisieren, die dem strengen Blick der französischen Behörden entzogen werden sollen. Wirtschaftliche Geschäfte, aber auch politische. Auf dem Umweg über afrikanische Länder haben französische Politiker nicht nur afrikanische Potentaten geschmiert, sondern auch millionenfach Gelder am heimischen Fiskus vorbei in ihre eigenen (die rechten wie die linken) Parteikassen zurückgeleitet.
Der Mineralölkonzern Elf ist zu einem Meister dieser Disziplin avanciert. Doch er ist nicht der einzige. Denn für nicht ganz offene Geschäfte bieten viele afrikanische Länder den idealen Rahmen: wirtschaftliches Elend, eine schlecht ausgebildete und informierte Bevölkerung, chaotische Machtverhältnisse, korrupte Politiker und schwache, wenn überhaupt vorhandene Kontrollinstitutionen.
Deutschland, das seine Kolonien bereits vor 82 Jahren verlor, hatte jahrzehntelang kein vergleichbares Hinterland. Wer in Westdeutschland schmieren wollte, musste auf völlig fremdes Terrain gehen oder das Wagnis direkt unter den Augen der heimischen Behörden eingehen. Wer es im Osten versuchte, hatte noch ganz andere Probleme. Das sollte sich erst mit dem Zusammenbruch der realsozialistischen Regime ändern. Anfang der 90er-Jahre fiel Westdeutschland mit der Ex-DDR ein Gebiet in den Schoß, dessen Bevölkerung verunsichert war, dessen Politiker diskreditiert waren und dessen Institutionen aufgelöst wurden. In dieser Rahmen fand eine wirtschaftliche Eroberung statt, die von niemandem kontrolliert wurde. Eine einzige große Institution organisierte die Abwicklung des DDR-Erbes: Die Treuhand, die unter anderem auch das deutsch-französische Geschäft um die Leuna-Raffinerie anbahnte.
Die DDR sollte nicht das einzige neue Hinterland bleiben. Nach und nach arbeitet sich die deutsche Industrie und Politik weiter in den europäischen Osten vor. Und je weiter östlich sie kommt, desto desolater sind die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen und desto machtloser die Kontrollinstitutionen, die sie vorfindet. Der Rahmen für Machenschaften, die im „Mutterland“ unmöglich wären, ist vorhanden.
Der Mauerfall hat auch Deutschland den Weg zu einem Hinterland geöffnet. Zu einer Afrikanisierung – pardon: Kohlonisierung – der Politik, wie sie bislang als Privileg anderer (Kolonial-) Staaten gegolten hat – ganz besonders Frankreichs.
Dorothea Hahn, Paris
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