Für die Lehre im Hungerstreik

■ Professor Karl-Friedrich Wessel von der Humboldt-Uni kämpft für den Erhalt des weltweit einzigen Lehrstuhlsfür Humanontogenetik. Seit Montag nimmt er nur noch Wasser zu sich. Uni-Leitung verweist auf prekäre Finanzlage

Um für eine Sache zu kämpfen, kann man Briefe schreiben, Telefonate führen oder mit den Füßen auf den Boden trampeln. Nützt das alles nichts, kann man resignieren oder zu drastischen Mitteln greifen. Einem Hungerstreik beispielsweise. Genau dafür entschied sich Karl-Friedrich Wessel, Professor für Humanontogenetik an der Humboldt-Universität. Er nimmt seit Montag früh, 8 Uhr, nur noch Wasser zu sich. Der Grund: Der Lehrstuhl, den er seit zehn Jahren innehat, soll mit seiner Pensionierung im Juni wegfallen. „Alle üblichen Mittel intellektueller Auseinandersetzungen“, klagt Wessel, hätten versagt. Gestern befand er: „Mir geht es gut, ich habe nur leichte Kopfschmerzen.“

Es ist nicht das erste Mal, dass Wessel hungert. 1997, als er, anders als jetzt, seine Nahrungsverweigerung nicht öffentlich machte, ging es um den Erhalt einer Sekretärinnenstelle. Nach zwei Tagen war der Posten gesichert.

Diesmal geht es um die Zukunft des einzigartigen „Interdisziplären Instituts für Wissenschaftsphilosophie und Humanontogenetik“, das 1990 gegründet wurde und sich in den Grenzbereichen der Human-, Natur- und Geisteswissenschaften entwickelt hat. Der weißhaarige Professor versteht nicht, dass die Uni einerseits Interdisziplinarität einfordert und andererseits seine Stelle nicht wieder besetzen will. „Es ist merkwürdig, über Fortschritt zu reden und kein Geld für einen Lehrstuhl zu haben, der zwischen 100.000 und 150.000 Mark kostet.“ Die Humanontogenetik sei innovativ, weil sie neue Wege der Wissenserzeugung und -anwendung gehe.

Wessel, hinter dem eine ganze Reihe von Unterstützern steht und der mit drei bezahlten und einer ganzen Reihe von unbezahlten Mitarbeitern diverse Publikationen herausgegeben hat, will sich den Sparzwängen nicht verschließen. Doch er wirft der Uni vor, eine „inhaltlich begründete Entscheidung“ seit Jahren hinausgeschoben zu haben. In einem offenen Brief an alle Uni-Mitarbeiter schreibt er: „Ich wünschte mir öffentliche Diskussionen über Perspektiven der Universität, mehr Dynamik in der Durchsetzung von vernünftigen Reformen, aber auch ein Sich-wehren-Wollen gegen die finanziellen Sparzwänge.“ Dafür will er ein Signal setzen. „Jeder, der mich kennt“, sagt er, „weiß, dass ich nicht Ruhe geben werde.“

Doch Uni-Rektor Hans Meyer zeigt sich unbeeindruckt. In ei- nem Brief wies er Wessel auf das Haushaltsdefizit hin. Außerdem sei Wessels Stelle mit der Maßgabe zweckbestimmt gewesen, dass sie nach seinem Ausscheiden in den Stellenpool zurückfällt.

Pressesprecherin Susann Morgner räumte gegenüber der taz ein, dass „vielleicht mal andere Versprechen gemacht wurden“ – aber „nicht von der Beschlusslage her“. Sie könne zwar Wessels „Verbitterung“ verstehen. Doch die Uni befinde sich „in dem Dilemma, sich um alle Schäfchen kümmern zu müssen“. Der erste Vizepräsident habe gesagt, dass ein Hungerstreik kein Anlass sein könne, einmal gefasste Beschlüsse zurückzunehmen. Nach Angaben von Morgner haben sich die Beteiligten in der Sitzung des Akademischen Senats am Dienstag „sehr betreten“ gezeigt. Um sich kundig zu machen, wurde das Thema auf die nächste Sitzung verschoben.B. Bollwahn de Paez Casanova