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Vor dem Freigang zum Psychologen

■ Bündnisgrüne und Strafverteidiger kritisieren, dass Egon Krenz psychologisch begutachtet werden soll. Justizverwaltung beruft sich auf Verwaltungsvorschriften

Der Fall ist Wasser auf die Mühlen all derer, die die Westberliner Justiz schon immer als Siegerjustiz bezeichnet haben. Doch auch die Bündnisgrünen und die Berliner Strafverteidiger-Vereinigung – bestimmt keine DDR-Apologeten – sind der Auffassung, dass die Justizverwaltung den ehemaligen DDR-Staatschef Egon Krenz unnötig drangsaliert.

Krenz, der am 13. Januar seine sechseinhalbjährige Haftstrafe wegen der Todessschüsse an der Mauer angetreten hat, ist am Montag von der Freigängeranstalt Hakenfelde in den offenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Plötzensee verlegt worden. Nach Angaben seines Anwalts, Robert Unger, besteht die Justizverwaltung darauf, dass sein Mandant einem Psychologen vorgeführt wird, bevor ihm Vollzugslockerung zugestanden wird. Der Mediziner solle klären, ob der 62-Jährige im Fall des Freigangs „für Dritte eine Gefährdung“ darstellen würde.

Unger findet diese Maßnahme aus mehreren Gründen „völlig abwegig“: Die letzte Krenz zur Last gelegte Tat, die Mitwirkung am Beschluss des Politibüros, trage das Datum 11. März 1986. In den fünfzehn Jahren bis zu seinem Haftantritt habe sich Krenz nichts zu Schulden kommen lassen. Auch das Landgericht habe Krenz und dessen Mitangeklagten in dem Urteil vom 25. August 1997 „eine uneingeschränkt positive Sozialprognose“ gestellt. „Der Sinn ihrer Bestrafung kann nicht darin gesehen werden, sie von der Begehung neuer Straftaten abzuhalten“, zitiert Unger aus der schriftlichen Urteilsbegründung. „Die Kammer hat das an Gewaltlosigkeit und politischer Lösung orientierte Verhalten des Angeklagten in den Monaten Oktober und Novemer 1989 erheblich strafmildernd berücksicht“, heißt es weiter.

Dass Krenz als einziger der insgesamt sechs ebenfalls wegen Totschlags verurteilten DDR-Verantwortlichen psychologisch begutachtet werden solle, bedeute eine Ungleichbehandlung, so Anwalt Unger.

Justizsprecherin Svenja Schröder-Lomb erklärte gestern, Krenz werde „nicht psychologisch begutachtet“, sondern „besonders gründlich geprüft“. Grundlage seien bundeseinheitliche Verwaltungsvorschriften, die bei einer Vollzugsplanung angewendet werden müssten. „Den Vorwurf der Ungleichbehandlung“, so Schröder-Lomb, „weisen wir zurück.“ Jeder Fall müsse einzeln geprüft werden. Die Entscheidung im Fall Krenz sei von der zuständigen Fachabteilung der Justizverwaltung getroffen worden. Die politische Spitze des Hauses, also der Regierende Bürgermeister und Justizsenator Eberhard Diepgen (CDU) und dessen Staatssekretär, sei mit der Sache nicht befasst gewesen, betonte Schröder-Lomb.

Der Vorsitzende der Vereinigung der Berliner Strafverteidiger, Rüdiger Portius, bezeichnet das Verhalten der Justizverwaltung gegenüber Krenz als „abenteuerlich und schikanös“. Die bei Krenz zur Anwendung kommenden Vorschriften seien für Gewalt- und Sexualverbrecher gemacht worden, die nach jahrelanger Inhaftierung in den offenen Vollzug verlegt werden sollten.

Der Fraktionvorsitzende der Grünen, Wolfgang Wieland, wirft der Justizverwaltung vor, sich dem Eindruck auszusetzen, „man wolle in Krenz’ Psyche herumdoktern“.

Plutonia Plarre

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