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Ein Schuss, drei Treffer

Scharfe Munition: Bei einer Übung der Polizei wurden drei Beamte verletzt

Aus dem Training wurde blutiger Ernst. Bei einer fingierten Befreiungsaktion auf einem Übungsgelände in Ruhleben hat ein Polizeibeamter drei Kollegen am Mittwochvormittag durch einen Schuss aus einer Maschinenpistole verletzt. Die Kugel, ein 9 Millimeter mal 19 Parabellum Vollmantelgeschoss, durchschlug erst den Oberschenkel eines Beamten, danach den Arm eines zweiten und blieb bei dem dritten im Bein stecken. Die Polizisten, allesamt Personenschützer des Landeskriminalamtes (LKA), sollen trainiert haben, wie man Geiseln befreit.

Normalerweise wird bei solchen Übungen Schreckschussmunition verwendet. Nach Informationen der taz hat der Schütze auch geglaubt, es handele sich um solche Munition. In Wirklichkeit war eine der Patronen, die in einer Kiste mit Übungsmunition gelegen haben soll, aber scharf.

Die Polizei wollte dies gestern nicht bestätigen. Einzelheiten über den Vorfall waren bei der Polizeipressestelle nicht in Erfahrung zu bringen. „Die Ermittlungen laufen“, hieß es dort. Justizsprecherin Michaela Blume bestätigte lediglich, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufgenommen habe. Die Akten der Kriminalpolizei lägen aber noch nicht vor.

Vieles spricht dafür, dass es sich um einen Unglücksfall in Folge von Schlamperei handelt. Wenn es stimmt, dass die scharfe Patrone inmitten der Schreckschussmunition lag, können die betroffenen Beamten – und nicht nur sie – von Glück sagen, dass sie noch leben. Der Vorfall wirft nicht nur die Frage auf, wie sorgfältig die Polizei ihre Munition verwaltet. Er zeigt auch aufs Neue, wie gefährlich die 9 Millimeter mal 19 Parabellum Vollmantelgeschosse sind, die von der Polizei bundesweit verwendet werden. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert nach Angaben ihres Waffenexperten Wolfgang Dicke bereits seit 25 Jahren, eine andere Munition für die Polizei einzuführen. Das verwendete Hartmantelgeschoss, das auch international bei Polizei und Militär eingesetzt wird, ist für seine hohe Durchschlagskraft berüchtigt. In München hat eine Polizistin im November 1998 mit einer solchen Patrone zwei Brüder erschossen, die hinter einander standen. Die GdP beklagt auch die geringe so genannte Mannstoppwirkung des Vollmantelgeschosses: Wenn die Kugel kein lebenswichtiges Organ trifft, entsteht aufgrund der hohen Durchschlagskraft eine so kleine Wunde, dass der Verletzte weiterlaufen kann. Doch die Polizei gebraucht laut Dicke die Schusswaffe, um einen Täter zu stoppen, und nicht, um ihn zu töten.

Auf der Bundesinnenministerkonferenz im vergangenen November war man sich einig, dass die Vollmantelgeschosse bei der Polizei mittelfristig aus dem Verkehr gezogen werden sollen. Beschlossen wurden neue technische Richtlinien, anhand derer die Waffenhersteller nun neue Munition entwickeln sollen. Dicke schätzt, dass im Sommer erste Ergebnisse vorliegen.

Die Berliner GdP hatte gestern alle Hände voll damit zu tun, die Medien abzuwehren. Erbost über die Nachrichtensperre von Polizei und Innensenator Eckart Werthebach (CDU) beschwerte sich der Landesvorsitzende Eberhard Schönberg: „Das kann nicht sein, dass die GdP die Ersatzpressestelle des Innensenators und Polizeipräsidenten wird.“ Schönberg forderte die Oppositionsfraktionen im Parlament auf, den Innensenator und den Polizeipräsidenten an ihre Informationspflicht zu erinnern. Schönberg: „Die Koalitionsfraktionen werden dazu wahrscheinlich nicht in der Lage sein.“

Plutonia Plarre

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