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Songs von der Führerliste

Der Komponist Norbert Schultze schwamm meistens obenauf. Die Nationalsozialisten bestellten bei ihm Kampflieder wie „Bomben auf Engelland“, weltberühmt wurde er durch den alle Fronten des Zweiten Weltkriegs überwindenden Schlager „Lili Marleen“. Nach dem Krieg war er an der musikalischen Untermalung des deutschen Heimatfilms beteiligt. Jetzt hofft der Musiker, der einst „Bomben-Schultze“ genannt wurde und am vergangenen Mittwoch seinen 89. Geburtstag feierte, von Mallorca aus auf ein Comeback. In Tübingen traf ihn Daniel Wiese

Ein kleines Lied ging um die Welt, durchbrach die Frontlinien des Zweiten Weltkriegs und spendete Trost den Soldaten, auf welcher Seite sie auch standen. Eine wundersame Macht soll es besessen haben. Sobald es erklang, und es erklang jeden Abend pünktlich um zehn im Radio, schwiegen die Waffen, und in den Schützengräben und Lazaretten träumte man von der Heimat. So erzählt die Legende von „Lili Marleen“.

Ein Sonntag vormittag. Draußen dröhnen die Kirchenglocken, drinnen in dem kleinen Hotelzimmer sitzt Norbert Schultze, der Komponist. Schultze ist vermutlich das, was man einmal einen „Grandseigneur“ genannt hätte. Wie viele Bühnen, wie viele Spielcasinos hat er in seinem langen Leben gesehen? Wem hat er die Hand geschüttelt? Ein Hauch von großer Welt zieht vorüber, zurück bleibt ein alter Herr, der sich, mit seinen 89 Jahren etwas wacklig auf den Beinen, auf seinen Gehstock stützt. „Nehmen Sie Platz“, sagt Norbert Schultze höflich und setzt sich vorsichtig hin.

Gern wäre er zu einem Gespräch bereit, hatte der Komponist am Telefon gemeint, wahrscheinlich aber ohne seine Frau Brigitta Salvatori zu fragen, die, seine dritte und deutlich jünger als er, nicht begeistert ist, so viel lässt sich sagen. Sie kommt mit ins Hotelzimmer und lässt ihren Gatten keine Sekunde aus den Augen. „Wir haben schlechte Erfahrungen gemacht“, sagt sie entschuldigend, während sie sich auf dem Bett ausstreckt und aufpasst, dass er nichts Falsches sagt, denn: „Er ist immer so naiv.“

Die Befürchtungen sind nicht ganz aus der Luft gegriffen. Treuherzig berichtet Schultze, wie er und ein anderer Komponist von Goebbels den Auftrag bekamen, die Musik zum „Russlandfeldzug“ zu schreiben, Textvorgabe: „Führer befiehl, wir folgen dir“. Goebbels konnte sich nicht entscheiden, also mussten beide Komponisten bei ihm vorspielen. Ganz normal sei die Begegnung verlaufen, „wie bei einem Minister“ eben. In den frühen Morgenstunden hörte Schultze dann sein Lied im Radio. „Das“, sagt er, „gehört auch dazu. Ich war stolz darauf, dass meins genommen wurde.“

„Führer, befiehl“ war nicht der einzige Auftrag, den Schultze von den Nazis bekam. Er komponierte die Musik zu Propagandafilmen wie „Kolberg“ und „Kampfgeschwader Lützow“, sein Marsch „Bomben auf Engelland“ wurde so berühmt, dass man ihn nur noch den „Bomben-Schultze“ nannte. Darüber war er ein wenig unglücklich, doch den Namen wurde er erst los, als die Bombardierung Englands in weite Ferne rückte und „Bomben auf Engelland“ von einem anderen Schultze-Lied verdrängt wurde: „Panzer rollen in Afrika vor“.

Dabei sieht es nicht so aus, als sei Schultze ein Militarist gewesen. Einen Luftwaffenfilm, der die Zerbombung Warschaus aus der Vogelperspektive zelebrierte, untermalte der junge Komponist zum Entsetzen seiner Auftraggeber mit einem sinfonischen Trauermarsch. Erstmals von sich reden gemacht hatte er auch nicht mit Kriegsliedern, sondern 1936 in Hamburg, mit einer Kinderoper namens „Schwarzer Peter“, auf deren Erfolg er heute noch stolz ist.

Sein leichter, eingängiger Stil fand das Gefallen von Propagandaministerium und Reichskulturkammer. Der junge Komponist wurde auf die „Führerliste“ gesetzt, was bedeutete, dass er „auf Kriegsdauer nicht einzuberufen“ war. So durfte Schultze mit Frau und Kindern in seiner schönen Wannseevilla wohnen bleiben. An die Front wollte er nicht, ob er die Aufträge etwa hätte ablehnen sollen? „Jetzt war man doch gefangen“, analysiert er im nachhinein.

Nach dem Krieg wurde Schultze als „Mitläufer“ eingestuft und machte bald da weiter, wo er aufgehört hatte, nur dass die Filme jetzt „Käpt’n Bay Bay“ hießen oder „Die Mädchen vom Immenhof“.

Wenn man seine Memoiren liest, 1993 in kleiner Auflage unter dem Titel „Mit dir, Lili Marleen“ erschienen, scheint sein Leben aus vorwiegend heiteren Anekdoten zu bestehen. Kontakte hier, Kontakte da, man kennt sich von früher und hilft sich weiter. Mal springt der Verleger ein, dann wieder trifft man beim Film einen Bekannten aus alten Kabarettzeiten wieder. Klar plagen einen manchmal Gewissensbisse, doch alles in allem ist das Komponistenleben recht nett.

Diese eher heitere Sicht der Dinge mochten indes nicht alle teilen. „Lieber Norbert! Du hast den Teufel am Hintern geküsst, das wischt Dir keiner mehr ab“, hatte schon sein Onkel Richard Révy aus dem amerikanischen Exil prophezeit. „Den Teufel am Hintern geküsst“ hieß dann eine Dokumentarfilm von Arpad Bondy, der 1993 herauskam und den betagten Komponisten zeigt, wie er am Klavier sitzt und beherzt seine alten Kampflieder singt. Keine gute Empfehlung, das ist Schultze selber klar. Der Regisseur habe ihn aufgefordert, die Lieder lauter und mit mehr Begeisterung zu singen, und da sei wohl die Eitelkeit mit ihm durchgegangen. „Ich wollte sehen, wie gut ich die noch vortragen kann“, erklärt er den Fauxpas. Im übrigen habe man in dem Film alle Stellen rausgeschnitten, „wo ich sage, ich bedaure das“.

Was denkt er, wenn er die alten Lieder wieder hört? Schultze zögert einen Augenblick und fährt dann auf: „Ich finde, dass sie gut gemacht sind.“ Und plötzlich blitzt etwas in seinen Augen auf, Komponistenstolz? Vielleicht ist er es auch nur leid, sich immer und immer wieder distanzieren zu müssen. Gut gemacht, damit meine er auch „Bomben auf Engelland“, er hätte dabei ja nicht an die Bomben gedacht, sondern nur, dass der Krieg dann aus ist. Dann sagt er: „Ich hätte das nie schreiben dürfen.“

Dabei war seine berühmteste Melodie, „Lili Marleen“, bei den Nazis nicht sonderlich beliebt. „Weil das Lied die Soldaten nicht stark machte, sondern weich“, vermutet der Komponist, der sich seinerseits nur schwer an die Wehrmachtsfassung des Liedes „mit Tschingbumm und Wachpostenchor“ gewöhnen konnte. Auch nicht an die Stimme von Lale Andersen, obwohl es ihre Stimme war, die „Lili Marleen“ berühmt machte. Schultze behauptet, mit Lale Andersen 1932 in Berlin eine Affäre gehabt zu haben, die darüber auseinander ging, dass er ihr riet, das Singen aufzugeben. „Nun hatte sie so ’ne nölige Stimme“, rechtfertigt er sich. „Ich war zu dumm, um zu erkennen, dass gerade darin der gewisse Reiz lag.“

Freilich hatte Schultze sein Lied der Sängerin selbst zugeschickt, wenn auch erst, nachdem es sonst niemand haben wollte. „Nur für kleine Mädchen“, habe der Bass Jan Behrens gemeint, an den er ursprünglich gedacht hatte. Und sein Verleger Sikorski fand: „Man kann nicht drauf tanzen, man kann nicht drauf marschieren. Vergiss es.“ Nur durch eine Kette von Zufällen gelangte „Lili Marleen“ zum deutschen Soldatensender im besetzten Belgrad und trat von dort seinen Siegeszug an. Kann es sein, fragt sich Norbert Schultze manchmal, dass von ihm lediglich dieser „kleine Gesang“ bleibt, den er doch nur nebenbei geschrieben hat?

Vielleicht, denkt er dann, ist er doch kein großer Komponist. Selbst seine Kinderoper „Schwarzer Peter“ erscheint ihm in solchen Momenten fade, alles „nur nachgemacht“. „Das stimmt nicht“, protestiert seine Frau und stimmt wie zum Beweis ein Duett aus der Kinderoper „Schwarzer Peter“ an, das sich „Heidelied-Duett“ nennt und auch so klingt. Das Duett wurde in einem Heimatfilm von 1955 zweitverwertet, den Schultze selbst für eine „Superschnulze“ hält. Brigitta fängt an, Norbert fällt mit brüchiger Stimme ein, und so singt das Paar in dem kleinen Hotelzimmer die rührselige Melodie: „Ach, ich hab in meinem Herzen, da innen, einen wundersamen Schmerz.“

Inzwischen hat Schultze auch wieder neue Hoffnung geschöpft. Auf Mallorca, wo das Ehepaar Schultze-Salvatori heute lebt, sah er eine Übertragung des Stuttgarter „Fidelio“, die ihm so gut gefiel, dass er sofort an den Intendanten Klaus Zehelein schrieb und um ein Gespräch bat. Ob man in dem Haus, das für fortgeschrittenes Musiktheater steht, seinen „Schwarzen Peter“ (1936) herausbringen wolle, wenigstens in kleiner Besetzung? Und vielleicht auch sein Balett „Max und Moritz“ (1938), mit singendem Ansager? Ob es nicht sogar denkbar wäre, seine Märchenoper „Das kalte Herz“ (1943) hervorzuholen? Für die bräuchte man allerdings zwei Abende hintereinander, für einen Abend sei sie zu lang.

Die Idee mit Stuttgart hat ihn so begeistert, dass er mit seiner Frau im benachbarten Tübingen, eine halbe Autostunde von der Oper entfernt und mit günstigem Flughafenanschluss, eine Zweitwohnung sucht. Darum sitzt er überhaupt nur in diesem Hotelzimmer, mitten in der Tübinger Altstadt, wo sonntagmorgens die Kirchenglocken dröhnen. Ob er wirklich glaubt, dass die Stuttgarter Oper seine Stücke bringt? Der Intendant habe ihm aufmerksam zugehört, meint Schultze. Und was hat er gesagt. „Er hat gelächelt.“

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