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Monströse Kellerloch-Soundscapes

■ Eigenwillig free: Die Jazz-Core-Spezialisten „Laddio Bolocko“ im Molotow

Natürlich gab es keine Zugabe im Molotow. Wie hätte die auch aussehen sollen nach einem Konzert, bei dem mit maximalem Körpereinsatz die Mauern zwischen Rock und Jazz eingeebnet wurden.

Als Laddio Bolocko letztes Jahr in Hamburg gastierten, spielten sie eine rare Form des Crossover. Im Gegensatz zu so vielen Zeitgenossen, die über die spieltechnischen Limitierung des klassischen Songs gerne die Nase rümpfen, ist die Improvisation bei dem Ensemble keine Frage des Chic, sondern eine der Notwendigkeit. Und obwohl die New Yorker ohne Worte zu Werke gehen, ist ihre Kunst kaum abs-trakt. Im Gegenteil: Haltlos, maßlos und oft auch autoaggressiv arbeiten die vier Musiker, von denen man sich erzählt, dass sie in einem finstren Kellerloch nicht nur einer von jeder Hierarchie befreiten Kunst nachgehen, sondern dort auch einen kollektivistischen Lebensstil pflegen.

Wären die Soundscapes nicht so monströs, man geriete in Gefahr, ihr theatralisches Streben nach Grenzerfahrungen – und anschließender Entgrenzung – als antiquitiert abzutun. So aber scheint es einem vollkommen schlüssig, dass sich Saxophonist Marcus De Grazia wie einst der Soul-Jazzer Roland Kirk mehrere Kannen gleichzeitig in den Rachen schiebt. Und wenn sich Bassist Ben Armstrong während des Konzerts im Stil einer S/M-Übung ein Paketband auf den Mund klebt, ist das mehr als eine drollige Spielerei. Wahrscheinlich würde man es ihm sogar nachsehen, wenn er mit der Gasmaske auf die Bühne kommt, also so, wie das in den 70ern bei einigen Rock-Terroristen durchaus zum guten Ton gehörte.

Vielleicht liegts an der manipulierten Atmung: Laddio Bolocko, dessen Mitglieder aus Free-Core-Institutionen wie The Dazzling Killmen oder Panicsville stammen, stehen ständig unter Hochdruck. In diesem Zustand gelangen sie zu einer recht eigenwilligen Auslegung des Begriffs Free Jazz. Albert Ayler oder das legendäre Art Ensemble Of Chicago, das in den 70ern zeitweise mit einem ähnlich dynamischen Rock-Groove agierte, bleiben bei Laddio Bolocko nicht nur historische Marken. Die Band bringt den Free Jazz dahin zurück, wo er am besten klingt: in den Club. Und wenn sie am Sonntag für ein kurzfristig angesetztes Konzert noch einmal das Molotow beehren, bricht der Laden hoffentlich wieder aus allen Nähten. Christian Buß

Sonntag, 22 Uhr, Molotow

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