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Weniger Horror und mehr Godard

Nach der dreiwöchigen Zwangspause hat das „Videodrom“ neben 80.000 Mark Verlust jede Menge Neukunden bekommen. Eine enge Kooperation mit dem Kreuzberger Wirtschaftsamt soll die Existenz sichern ■ Von Isabel Merchan

Karsten Rodemann alias „Graf Haufen“ steht im Verleih, einem mit Plüschteppich ausgelegten Raum. Rund 13.000 Titel stehen hier zur Auswahl. Ob Autorenfilmreihen oder Actionfilme in der Originalfassung – im „Videodrom“ bekommen Cineasten, was sie brauchen. Sogar John-Woo-Filme im chinesischen Original mit kantonesischen Untertiteln. Die breite Auswahl ist dem Perfektionismus von „Graf Haufen“ zuzuschreiben. „Früher hat es mir nicht gereicht, 23 Sci-Fi-Filme von 1956 anbieten zu können, es mussten alle aus diese Zeit sein“, sagt er und klebt ein Signet auf eine Videokassette.

Im Verleih ist an diesem Nachmittag viel los. „Wir haben 50 Prozent mehr Neukunden als üblich“, sagt Rodemann. Vor der Schließung Ende vergangenen Jahres hatten sie 20.000 Kunden in der Verleihkartei.

Am 23. November 1999 durchsuchten Polizei, Staatsanwaltschaft und Wirtschaftsamt die Kreuzberger Kultvideothek nach „jugendgefährdenden Schriften“. Sie konfiszierten Laserdiscs, Digitale Videodiscs (DVDs) und Videos, darunter Fassbinder, Lynch, die Serie „Holocaust“ und drei verbotene Filme. Auslöser der Aktion war die Anzeige einer Privatperson. Danach versiegelte das Wirtschaftsamt den Laden. Dagegen protestierten zahlreiche Filmpromis, Fans; Programmkinos organisierten Gegenaktionen. Das „Videodrom“ durfte nach drei Wochen wieder öffnen, hat aber bis jetzt mit den Folgen der Schließung zu kämpfen.

Durch die Zwangspause hat das „Videodrom“ 80.000 Mark verloren. 10.000 Mark kamen durch Spenden zusammen. Damit konnten die Inhaber Ines Ruf und Karsten Rodemann die Löhne der Mitarbeiter bezahlen. Trotzdem mussten vier von zwölf gehen. Wegen Geldmangels können die Inhaber zudem keine neuen Filme für den Verleih anschaffen und müssen bei vielen Titeln warten, bis sie sie gebraucht bekommen. Um Geld in die leeren Kassen zu kriegen, haben sie die Öffnungszeiten verlängert und verkaufen ihre Lagerbestände gerade in einem „Blow out sale“.

Obwohl die Staatsanwaltschaft 666 Videos, viele Laserdiscs und DVDs mitgenommen hat, bemerkt man keine Lücken in den Regalen. Kein Wunder, denn viele Videos sind nicht aus dem Verleih, sondern aus dem Versandbüro mitgenommen worden. Vor der Durchsuchung machte der Versand rund 50 Prozent der Gesamtumsätze des „Videodroms“ aus. Im Versandbüro konfiszierten die Ordnungshüter auch einen Server und Workstations. Darauf waren für den Geschäftsablauf wichtige Programme und Dateien mit Bestelladressen und Kundennamen gespeichert. „Die Staatsanwaltschaft nimmt wohl an, dass wir indizierte Filme verschickt haben“, vermutet der Graf.

Nach dem Gesetz dürfen indizierte Medien nicht verschickt werden. „Wir haben keine indizierten Filme verschickt, sondern nur solche mit einer Freigabe der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“, betont Rodemann. Außerdem habe er sich von den Kunden eine Ausweiskopie schicken lassen.

Bei der Durchsuchung fanden die Beamten drei verbotene Filme, darunter „The Texas Chainsaw Massacre“ und „The Burning Moon“. Diese Filme gelten nicht nur als jugendgefährdend, sondern als „sozialschädlich“. „Einige der Filme wurden zwischendurch verboten. Wir haben sie dann aus dem Bestand genommen“, erklärt Karsten Rodemann. Zudem habe man sie in einem für Kunden unzugänglichen Bereich aufbewahrt.

Den in Deutschland verbotenen Film „The Texas Chainsaw Massacre“ führt das New Yorker „Museum of Modern Art“ als eines der hundert wichtigsten Werke der Filmgeschichte auf. „Verbote sind reine Interpretationssache. Jeder Kulturkreis hat da seine Eigenheiten“, sagt Andreas Döhler, Inhaber der Programmkinos „Central“ und „Eiszeit“. Nach der „Videodrom“-Schließung organisierte er mit Kollegen eine „Woche des beschlagnahmten Films“. „Es ist machmal komisch, was verboten wird und was nicht“, sagt er. „Als „Rambo II“ rauskam, wo es richtig zur Sache geht, bekam der Film eine FSK-Freigabe ab 12“, wundert er sich.

Um künftig Ärger zu vermeiden, wollen Ines Ruf und Karsten Rodemann vom „Videodrom“ den Versandbereich, der vorher bei 45.000 Artikeln umfasste, verkleinern. „Wir werden nichts mehr anbieten, was gegen uns verwendet werden kann“, so Ines Ruf. Künftig werden sie bei den Versandartikeln eine Art „Vorzensur“ machen. Das heißt: nur noch eine kleine Auswahl an Horrorfilmen. Das Genre machte vor der Durchsuchung rund 30 Prozent des Angebots aus.

So wollen die „Videodrom“-Betreiber verstärkt den an Kunstfilmen interessierten „Otto Normalverbraucher“ ansprechen, der, wie Rodemann sagt, „Filme sucht, die er bei Media Markt nicht bekommt“. Truffaut und Godard gehören in Zukunft also zum Programm. „Es geht nicht darum, dass wir den Schwanz einziehen“, stellt Rodemann klar. „Wir wollen nur nicht unsere Existenz aufs Spiel setzen.“

„Graf Haufen“ und Ines Ruf haben für den Versand gebrauchte Rechner gekauft, einige haben ihnen Freunde gespendet – ebenso wie Software. „Bis wir wieder normal arbeiten können, werden Monate vergehen“, sagt Rodemann. Dass die beschlagnahmten Rechner zurückkommen, glaubt er nicht. Ob die beschlagnahmten Filme zurückgegeben werden, ist unklar.

Bei Durchsuchungen in der Vergangenheit hatte das „Videodrom“ beschlagnahmte Filme stets zurückbekommen, die Verfahren wegen Verbreitung jugendgefährdender Schriften wurden eingestellt. Diesmal rechnen die „Videodrom“-Betreiber jedoch mit einem Verfahren. Doch das kann dauern. Das zeigt der Fall der Schöneberger Videothek „Incredibly Strange Video“, die Ende 1998 durchsucht wurde. Die Videothek ähnelt vom Programm her dem „Videodrom“, hat aber „nur“ 5.000 Titel und ausschließlich englische Originalfassungen im Angebot. Der frühere Inhaber, Markus Lehr, wartet derzeit auf die Eröffnung des Verfahrens. Wie beim „Videodrom“ war auch hier die Anzeige einer Privatperson Auslöser der Durchsuchung. Im „Incredibly Strange Video“ beschlagnahmten die Beamten sogar Filme, die der „Katholische Filmdienst“ als wertvoll eingestuft habe, so Lehr. Die etwa 1.000 Filme lagern bis heute in der Asservatenkammer der Staatsanwaltschaft. Der finanzielle Schaden war so groß, dass Lehr den Versandbereich schließen musste. Wenig später verkaufte er die Videothek.

Jährlich werden bundesweit fünf bis zehn Videotheken durchsucht. Einen Fall in der Dimension wie das „Videodrom“ habe es in den letzten zehn Jahren allerdings nicht gegeben, sagt Jörg Weinrich vom „Interessenverband des Video- und Medienfachhandels in Deutschland“ (IVD). Bei den Durchsuchungen geht es meist nicht um verbotene Filme, sondern darum, ob die Videotheken so gebaut sind, dass sie dem Jugendschutz entsprechen.

In den 80er-Jahren war es üblich, einen Teil der Videotheken durch einen Vorhang oder ein Hinweisschild abzutrennen, hinter dem sich Erwachsene indizierte Ware holen konnten. Mittlerweile gibt es besondere Auflagen: „Videotheken müssen einen separaten Eingang, eigenes Personal und eigene Kassen haben“, sagt Weinrich.

Im „Videodrom“ haben Minderjährige keinen Zutritt. Wer es trotzdem versucht, wird rausgeschmissen, so Rodemann. Unklar ist, ob Kunden ihre Kleinkinder mit in den Laden nehmen dürfen. Derzeit versuchen die Inhaber mit dem Kreuzberger Wirtschaftsamt eine Lösung zu finden. Auch sonst wollen sie künftig „bei heiklen Fragen“ eng mit der Behörde zusammenarbeiten und sich so rechtlich absichern.

Mit dem Amt haben Rodemann und Ruf Kontrollmöglichkeiten vereinbart, die Verstöße gegen den Jugendschutz ausschließen sollen – Voraussetzung für die Wiedereröffnung Mitte Dezember. „Wir wissen noch nicht genau, wie das konkret umgesetzt wird und wer dafür zuständig sein soll“, erklärt Rodemann. Man habe dem Wirtschaftsamt aber angeboten, dass sich Beamte im „Videodrom“ umsehen und auch Buchhaltung und Datenbanken checken können. Kreuzbergs grüner Bürgermeister Franz Schulz, gleichzeitig Dezernent des Wirtschaftsamtes, ist überzeugt, dass somit künftig Konflikte mit dem Gesetz vermieden werden können.

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