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Die meisten Unternehmen stellen sich taub

Dem Zwangsarbeiter-Entschädigungsfonds ist keine weitere Berliner Firma beigetreten

Einen Tag nach der Veröffentlichung der Liste regionaler Firmen, die nach Angaben des American Jewish Congress (AJC) Zwangsarbeiter beschäftigten, zeigten sich die Unternehmen gestern größtenteils überrascht, diesem Vorwurf ausgesetzt zu sein.

Keines der genannten Unternehmen, die laut AJC Verbindungen zu Firmen haben, die während der Nazizeit Zwangsarbeiter ausbeuteten, ist bisher dem Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft für die Zwangsarbeiter beigetreten. Während einige Firmen diesen Schritt immerhin in Erwägung ziehen, kommt er für andere überhaupt nicht in Frage. Ein Beispiel sind die Hackelöer-Köbbinghoff Mechanische Werkstätten GmbH. „Meinen Vater haben 1948 die Russen totgeschlagen. Wer entschädigt mich dafür?“, meinte der Geschäftsführer des Kleinbetriebs mit rund 20 Beschäftigten, in dem holländische und belgische Zwangsarbeiter eingesetzt worden sein sollen. Auch bei der Lacufa AG Farben und Lacke lehnt man die Verantwortung ab. „Wir haben mit der Kali Chemie AG eigentlich nichts zu tun“, so ein Sprecher. Man sei höchstens in der fünften oder sechsten Linie Rechtsnachfolger.

Ähnlich war die Reaktion der Berliner Bürgerbräu GmbH. „Wir haben 1992 für viel Geld einen Teil des Betriebes und den Markennamen von der Treuhand erworben“, sagte Geschäftsführerin Maria Häring von der Friedrichshagener Brauerei mit 40 Mitarbeitern. Sämtliche Ansprüche seien deshalb an die Treuhand-Nachfolgerin zu richten. Bei der Niles Werkzeugmaschinen GmbH hieß es, man habe mit früheren Firmen nichts zu tun.

Das AJC lässt solche Begründungen nicht gelten. Wenn Firmen den Markennamen von Unternehmen nutzten, die Zwangsarbeiter einsetzten, oder in einer Standort- oder Vermögenskontinuität stünden, so müssten sie heute auch die Verantwortung dafür tragen, so eine AJC-Vertreterin – und zwar auch dann, wenn keine direkte Rechtsnachfolge bestehe.

Die Frankfurter Baufirma Wayss & Freitag, die laut AJC Zwangsarbeiterlager in Zehlendorf betrieb, prüft derzeit noch ihre Geschichte. Der Themenkomplex Zwangsarbeiter betreffe aber die gesamte deutsche Bauindustrie, so ein Sprecher. Diese müsse eine koordinierte Lösung finden.

Bei der Boilerfirma Stiebel, für die in Berlin rund 200 Mitarbeiter Elektronikkomponenten produzieren, war bis gestern „noch die Welt in Ordnung“. Von der Veröffentlichung auf der Liste sei man überrascht worden, so ein Sprecher. „Wenn da etwas dran ist, werden wir uns am Fonds beteiligen.“ Auch bei der UFA-Holding in Babelsberg wird „das Thema sehr ernst genommen“, so eine Sprecherin. Allerdings gebe es jede Menge Firmen, die unter diesem Namen agierten. Deswegen müssten jetzt alle Umstände schnell geprüft werden.

So eilig haben es andere Firmen nicht. Bei der Brauerei Schultheiss, die Engelhardt übernommen hatte, war erneut niemand zu einer Stellungnahme zu erreichen. Und bei der Herbert Lindner Maschinenbau GmbH hieß es lapidar: „Rufen Sie mal nächste Woche an.“ Richard Rother

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