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Frankreich: Eine Arbeitszeitverkürzung für die PatronsSozialpartner in der Löwengrube

Die Arbeitszeit zu verkürzen, wenn Millionen auf der Straße stehen, das ist eine gute Idee. Nur: Für die immer noch knapp 3 Millionen Arbeitslosen in Frankreich hat die Arbeitszeitverkürzung bisher kaum Auswirkungen gehabt. Selbst nach den Zahlen des Arbeitsministeriums wurden bislang nur rund 80.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Gleichzeitig bedeutet weniger Arbeitszeit für die meisten Beschäftigten mehr Arbeitsintensität. Sie unterliegen einer Flexibilisierung, die für viele das Ende einer kalkulierbaren Frei- und Familienzeit bedeutet.

Die französischen Sozialpartner sind von der rot-rosa-grünen Regierung in eine Löwengrube geworfen worden. Denn dadurch, dass in jedem Unternehmen ein eigenes Modell ausgehandelt wird, ist das Ergebnis immer vom jeweiligen Kräfteverhältnis abhängig. Überall dort, wo die Beschäftigten schwach sind, können die Patrons eine Reorganisation der Arbeitsabläufe durchsetzen, die nicht nur Tarifverträge, sondern stellenweise sogar das französische Arbeitsrecht untergräbt. Die vielfach gespaltenen Gewerkschaften, die insgesamt nur zehn Prozent der französischen Beschäftigten organisieren, befinden sich dagegen in einer Phase der Schwäche. Diese wird noch dadurch verschärft, dass die größte Gewerkschaft CGT aus Sympathie und vermeintlicher Solidarität mit den drei kommunistischen Ministern in der Regierung nicht kampfbereit ist. Und von der staatlichen Aufsicht über das Chaos in den Betrieben in Form der Arbeitsinspektoren ist angesichts deren notorischer Überlastung überhaupt nichts zu erwarten.

Dem steht eine Arbeitgeberschaft gegenüber, die klassenkampfbereiter ist, als je zuvor. Die französischen Patrone sind gegenwärtig die eigentliche politische Opposition im Lande. Sie organisieren Blockaden der Fuhrunternehmer, sie demonstrieren zu Zigtausenden gegen die Regierung in Paris, und sie drohen gar mit ihrem Auszug aus den paritätisch bestimmten Sozialkassen.

Die Haupthoffnung auf eine Veränderung des Kräfteverhältnisses konzentriert sich jetzt auf das Wirtschaftswachstum, das in diesem Jahr knapp über drei Prozent betragen soll. Wenn sich die allgemeinen Wirtschaftsbedingungen verbessern, könnte auch das angeschlagene Selbstbewusstsein der französischen Beschäftigten wieder wachsen. Die zahlreichen Streiks, die durch die Verhandlungen über die Arbeitszeitverkürzung in diesen Tagen in allen möglichen Branchen ausgelöst wurden, sind ein Zeichen in dieser Richtung. Dorothea Hahn

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