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Eine Todesschwadron im Dienste des Staates

Täglich werden in der Türkei neue Leichen gefunden: Opfer der Hisbullah. Die einst von den Behörden im Kampf gegen die PKK unterstützte Truppe ist noch nicht zerschlagen

Istanbul (taz) – Sechsundvierzig Leichen und 700 verhaftete Anhänger der Hisbullah, das ist die vorläufige Bilanz von 14 Tagen des Schreckens in der Türkei. Seit die Polizei in Istanbul am 17. Januar bei einem Feuergefecht mit drei Mitgliedern der islamischen Terrororganisation den Führer der Truppe, Hüseyin Velioglu, erschoss und die beiden anderen Islamisten festnahm, vergeht kein Tag mehr, an dem nicht mehrere Leichen gefunden werden. In „Totenhäusern“ der Organisation in verschiedenen Städten des Landes hat die Polizei teilweise mehr als zehn Leichen ausgegraben und Waffen und Unterlagen entdeckt, die weiteren Aufschluss über die obskure Truppe ergaben.

Bei den bislang gefundenen Opfern handelt es sich ganz überwiegend um islamische Geschäftsleute, die von der Hisbullah beraubt wurden – so stieß die Polizei angeblich auf das Hisbullah-Haus in Istanbul, weil sie die Spuren von Kreditkarten zurückverfolgte, die die Organisation ihren Opfern abgenommen hatte – und die mehrheitlich zur moderaten islamischen Nurcu-Sekte gehörten. Doch was jetzt wie ein äußerst brutaler Machtkampf innerhalb des islamischen Spektrums erscheint, hatte ursprünglich ganz andere Wurzeln.

Der vor zwei Wochen erschossene Hüseyin Velioglu gehörte Anfang der 80er-Jahre zu den Gründern einer Organisation, die in den kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei einen vom Iran inspirierten Gottesstaat gründen wollten. Velioglu stammt aus Batman, einer Kleinstadt 50 Kilometer östlich von Diyarbakir, der inoffiziellen Hauptstadt von Türkisch-Kurdistan. Er gehört zum Stamm der Habizbin, die bis heute die treueste Basis der Hisbullah stellen. Als Velioglu am Sonntag in Batman beigesetzt wurde, kam es trotz der landesweiten Empörung über die Killertruppe zu einer Pro-Hisbullah Demonstration, an der über tausend Menschen teilnahmen.

Während die Hisbullah über den Raum Batman hinaus für ihren Gottesstaat kaum Anhänger fand, wurde sie offenbar von Geheimdienst, Polizei und Militär in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre als mögliche Verbündete gegen Abdullah Öcalans Kurdische Arbeiterpartei (PKK) entdeckt. Velioglu und Öcalan haben in den 70er-Jahren zusammen an der Politikwissenschaftlichen Fakultät der Uni in Ankara studiert. Zehn Jahre später trafen sie als Köpfe konkurrierender Organisationen in den kurdischen Gebieten wieder aufeinander.

Diese Situation haben sich offenbar zumindest örtliche Kommandanten der Gendarmerie und Polizei zu Nutze gemacht. Die Hisbullah wurde zu einer Todesschwadron im Kampf gegen die PKK, der vermutlich etwa 4.000 Menschen zum Opfer fielen – örtliche Politiker der Vorläuferparteien der prokurdischen Hadep, kurdische Geschäftsleute und Journalisten, vor allem solche, die sich auf die Spur der Hisbullah machten. Diese Leute sind entweder bis heute verschwunden oder ihre Mörder wurden nie gefunden.

In einem Interview mit der Tageszeitung Radikal bestritt Staatspräsident Süleyman Demirel am Sonntag vehement, dass der Staat die Hisbullah benutzt oder gedeckt habe. Allerdings räumte er ein, dass einzelne Offiziere illegal gehandelt haben könnten. Ähnlich äußerten sich der frühere Gouverneur für die kurdischen Gebiete, Ünal Erkan, und sein heutiger Kollege Cemil Saranc. Es habe innerhalb der Sicherheitskräfte Leute gegeben, die mit der Hisbullah symphatisierten. Diese punktuelle Kooperation soll bis 1995 angedauert haben. In einem Interview, ebenfalls in Radikal, behauptet der frühere Vizechef des Nachrichtendienstes der Polizei, Bülent Orakoglu, unter Vermittlung iranischer Revolutionsgarden sei 1998 eine Vereinbarung zwischen Hisbullah und der PKK erzielt worden und die Hisbullah habe ihren Aktionsradius danach mehr in die Westtürkei verlagert. Erst danach hat die Polizei ernsthafte Versuche unternommen, die Hisbullah zu stoppen. Nach Angaben von Orakoglu wurden letztes Jahr im ostanatolischen Mardin Unterlagen sichergestellt, die Informationen über die Hisbullah-Unterstützerszene enthielten. Daraufhin habe man begonnen, eine Hisbullah-Datenbank anzulegen.

Laut Orakoglu ist die Hisbullah nach den Festnahmen der letzen beiden Wochen noch längst nicht geschlagen. Die Organisation sei weiterhin aktionsfähig, berichtet er. Von dem insgesamt achtköpfigen Präsidium habe man erst vier Mitglieder gefasst. Tatsächlich fand die Polizei am Sonntag in Diyarbakir in einem Haus der Hisbullah die Leichen von zwei Männern, die erst vor wenigen Tagen ermordet worden waren.

Jürgen Gottschlich

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