: E-Mail aus Pancevo
■ Das Embargo gegen Jugoslawien trifft vor allem die Bevölkerung: „Wir müssen so viele Alltagsprobeme lösen, dass wenig Zeit für politisches Engagement bleibt“
Im vergangenen Juli war die jugoslawische Deutschlehrerin Jelena Aca in Bremen, um an einer Fortbildung des Goethe-Instituts teilzunehmen. Nur wenige Wochen zuvor hatte sie mit anderen JugoslawInnen noch im Keller Schutz vor den Bombardierungen der Nato suchen müssen. Die taz wollte von der Milosevic-Kritikerin aus Pancevo wissen, wie die Heimkehr war und wie der Alltag im Nachkriegs-Jugoslawien heute aussieht.
taz: Im Sommer haben Sie sich noch Sorgen gemacht darüber, wie es würde, nach Jugoslawien zurückzukehren und dort wieder deutsch zu unterrichten – quasi die Sprache der Bombenwerfer.
Jelena Aca: Als Deutschlehrerin habe ich inzwischen keine schlechten Erfahrungen gemacht – man identifiziert diese Bombenangriffe nicht mit bestimmten Staaten. Außerdem – würde man an unseren Schulen nur die Sprachen der Völker lehren, die seit Milosevics Machtübernahme „unsere“ Freunde sind, gäbe es bald keinen Fremdsprachenunterricht mehr. Viele Leute – zumindest aus meinem Bekanntenkreis – wissen, dass die Welt hier auf ein nicht integrierbares Benehmen reagiert hat – wenn auch auf ganz falsche Weise. Es liegt an uns, aus den jetzigen Feinden Freunde zu machen.
Immer wieder mahnen Politiker, darunter auch der Ex- Bosnien-Beauftragte Deutschlands, Hans Koschnick, die serbische Zivilbevölkerung nicht im Stich zu lassen. Wie geht es Ihnen?
Ich bezweifle, dass die fast völlige Isolierung, in der wir uns befinden, der richtige Weg ist, um demokratische Prozesse und Jugoslawiens Integration in Europa zu fördern. Die Zusammenarbeit auf dem „unteren“ Niveau, zwischen Nicht-Regierungs-Organisationen, hatte doch Vieles in Gang gesetzt. Auf dieser Ebene hilft man uns jetzt auch am stärksten. Wenn humanitäre Hilfe bei uns in Pancevo ankommt, dann vor allem von privaten Initiativen aus anderen Ländern.
Wie offen können Gegner und Kritiker Milosevics jetzt eigentlich sprechen?
Es ist schwer, diese Frage kurz zu beantworten. Nur zur Illustration: Vor ein paar Tagen habe ich ein Theaterstück gesehen, als einer der Schauspieler plötzlich begann, sich – außerhalb seiner Rolle – über Milosevic und seine Clique lustig zu machen. Es gab stürmischen Beifall. Sowas kann man oft erleben; unser Sender TV Pancevo hat auch einen österreichischen Preis für objektive Berichterstattung im Balkankrieg bekommen. Andererseits haben wir seit zwei Jahren ein neues, sehr repressives Informationsgesetz – und Versuche, Leute in Angst und Schrecken zu versetzen, wirken. Während des Krieges wurde beispielsweise Slavko Curuvija getötet, Journalist und Besitzer des Tages- und Wochenblattes mit der größten Auflagenhöhe im Land. Es ist einer von 500 Morden, die bis jetzt nicht aufgeklärt sind.
Wie sieht Ihr Alltag aus?
In der Schule ist jetzt wichtig, die zerstörten sozialen Strukturen wieder herzustellen und die Folgen des Krieges und der Isolation zu mildern. Das versuche ich durch die Zusammenarbeit mit den Schulen im Ausland und durch grenzüberschreitende Internetprojekte. Eine dritte Klasse von mir wird im April nach Österreich reisen; eine erste Klasse chattet mit spanischen Schülern und ich plane ein Internetprojekt mit Polen und Kroatien.
Im übrigen Alltag haben sich die Lebensumstände in den letzten Monaten sehr verschlechtert – als Folge der Angriffe und der ökonomischen und politischen Misere.
Was heißt das?
Ein großes Problem sind Stromausfälle; zum Glück funktioniert die Heizung noch ganz gut. Das Embargo trifft die weiten Schichten der Bevölkerung – und nicht das Regime. Im Gegenteil. Wir müssen so viele Alltagsprobleme lösen, dass sehr wenig Zeit und Lust für politisches Engagement bleibt – oder für die Suche nach wahren Informationen.
Dazu kommt, dass Milosevics Opposition in den meisten größten Städten regiert – aber schlecht. Diebstahl, Lüge und Korruption sind auch da an der Tagesordnung – so dass viele Bürger sehr enttäuscht sind. Ich sehe die Chancen für echte Veränderung als gering an – denn die Opposition müsste dafür wirkungsvoll zusammen arbeiten. Ich bezweifle, dass das gelingen wird, zumal Milosevics Leute schon an einer Wahlarithmetik feilen, die ihnen die nächsten Wahlerfolge sichern soll. Durch die Kriegserlebnisse wird von vielen auch das einstige Vorbild der westlichen Demokratie in Frage gestellt. Dazu kommt wachsende Bestechlichkeit – verstärkt durch die wirtschaftliche Not. Viele junge Leute suchen Wege, um die Ausbildung im Ausland fortzusetzen. Das wird für unser Land später ein großes Problem werden. Fragen: Eva Rhode
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