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„Die Bannmeile ist einer Demokratie fremd“

Willfried Penner (SPD) ist überzeugt, dass der Bundestag keine Bannmeile einführen wird

taz: Nach dem Neonazi-Aufmarsch am Brandenburger Tor hat der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) den Bundestag zur Wiedereinführung einer Bannmeile aufgefordert, die auch den Pariser Platz umfassen soll. Wie groß sind die Chancen auf Realisierung?

Willfried Penner: Ich halte diese Initiative des Berliner Senats im Bundestag nicht für mehrheitsfähig. Das bestehende Gesetz, mit dem der „befriedete Bezirk“ eingeführt worden ist, ist erst seit August 1999 in Kraft. Es handelt sich um einen Kompromiss zwischen unterschiedlichen politischen Ausgangspunkten. Bei den Beratungen hat sich gezeigt, dass eine Mehrheit des Bundestages von der allzu stringenten Regelung des Bannmeilenrechts Abschied nehmen wollte. Es war nicht etwa nur eine Orchideenminderheit, die auf das Bannmeilenrecht gänzlich verzichten wollte.

Das Gesetz ist bis Juni 2003 befristet. Bundestagsvizepräsident Seiters (CDU) fordert schon jetzt eine Überprüfung.

Sinn eines Zeitgesetzes ist es, auf Grundlage der gewonnenen Erfahrungen zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Ich meine, man sollte zumindest bis 2003 an dem bestehenden Ergebnis festhalten.

Inzwischen wird sogar schon über eine Einbeziehung des künftigen Holocaust-Mahnmals in die Bannmeile diskutiert. Sind die Grenzen so beliebig?

Als oberster Grundsatz muss gelten: möglichst wenig Distanz zwischen den politischen Verantwortungsträgern und dem Volk. Eine Bannmeile ist eher etwas Demokratiefremdes. Deshalb sollte man davon nur ganz behutsam Gebrauch machen.

Was haben Sie bei dem Neonazi-Aufmarsch empfunden?

Natürlich ist das sehr bedrückend. Auf der anderen Seite geht es um das Demonstrationsrecht, ein besonders hochrangiges Rechtsgut. Das muss man auch bei solchen unappetitlichen Begebenheiten wie dem Aufzug der Neonazis ertragen.

Innensenator Werthebach (CDU) hat schon vor dem Aufzug der Neonazis erklärt, er wolle die Demonstrationen am Brandenburger Tor unterbinden.

Ich kenne die Motive des Innensenators nicht. Aber mir ist aufgefallen, dass der Wunsch nach Wiedereinführung der Bannmeile nicht ausschließlich an neonazistischen Untrieben und dem sehr symbolkräftigen Brandenburger Tor festgemacht wird. Es wurden auch vorher schon entsprechende politische Bemühungen gestartet. Es handelt sich um unterschiedliche Motive. Auch der Gesichtspunkt eines reibungslosen Straßenverkehrs spielt eine Rolle.

Unabhängig von der Bannmeile erwägt Werthebach eine Bundesratsinitative zur Verschärfung des Versammlungsgesetzes zu initiieren.

Ich kann mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen, dass der Bundestag kaum dazu neigen wird, mit leichter Hand das Versammlungsrecht zu ändern.

Interview: Plutonia Plarre

W. Penner ist Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses

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