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Faule Kartoffeln

Außer T-Shirts sind auch Kartoffeln mit zinnorganischen Substanzen wie TBT belastetet. Ursache sind Pestizide, die das Gemüse vor Fäule schützen sollen ■ Von Thomas Schumacher

Leer (taz) – Giftige zinnorganische Verbindungen, wie Tributylzinn (TBT), werden auch in der Landwirtschaft eingesetzt. Was T-Shirt-Produzenten in helle Aufregung versetzte, war in der Landwirtschaft bislang kein Thema. Seit Jahren werden die beiden Mittel „Peropal“ und „Brestan flüssig“ auf den Acker gebracht, um Kartoffel vor Pilzschädlingen, der Kartoffelfäule, zu retten. Während des weniger gebräuchliche „Peropal“ Tributylzinn (TBT) enthält, ist im „Brestan flüssig“ die verwandte Substanz Triphenylzinn (TPT) enthalten, die ebenfalls zur Familie der Organozinnverbindungen gehört. Beide Stoffe gelten als giftig und greifen in den Hormonhaushalt von Lebewesen ein.

„Diese Pflanzenschutzmittel sind beides Auslaufmodelle und werden so gut wie nicht mehr benutzt“, erklärt Heinrich Kohsiek von der Biologischen Bundesanstalt in Braunschweig. Doch andere Experten widersprechen: „Zumindest Brestan flüssig ist ein Standardmittel, das 5- bis 7-mal in einer Wachstumsperiode auf die Äcker versprüht wird“, sagt Gerhard Lauenstein von der Landwirtschaftskammer Weser-Ems. Zwar unterliegen Pflanzenschutzmittel strengen Genehmigungsverfahren, die dazugehörigen Untersuchungen finden aber in der Regel im Labor statt. Welche Folgen das Pestizid im Einsatz tatsächlich hat, wird vor Ort nicht mehr untersucht. Agrarexperten gehen davon aus, dass jährlich meherere tausend Tonnen Brestan in Deutschland versprüht werden. „Über negative Folgen von Brestan bei Menschen ist uns nichts bekannt“, sagt Thomas Schlicht vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz. Bundesumweltminister Jürgen Trittin verkündete vergangene Woche nach der Aufregung um belastete Fußball-Fantrikots, er wolle mit besonderer Dringlichkeit auf ein weltweites Verbot von TBT drängen. Von TPT war dabei offiziell keine Rede. Dabei drängt das Umweltbundesamt auf ein Verbot von TBT und TPT.

„Die Behörden schauen nicht in ihre eigenen Akten“, klagt Karina Weber vom Pestizid Aktion Netzwerk in Hamburg. „Da steht für Brestan der Hinweis: Irreversible Schäden möglich.“ Ihrer Meinung nach muss Brestan sofort verboten werden. Sie verweist auf einen Skandal vor zehn Jahr auf den Philippinen. Nachdem ohne jegliche Schutzmaßnahmen Brestan gegen Schädlinge auf Reisfeldern verwendet wurde, erlitten Frauen bleibende gesundheitliche Schäden. Ihr Gebährmutter vergrößerte sich und die Fingernägel verkrüppelten. Bevor das ARD-Magazin „plus-minus“ vor drei Wochen das TBT in Fußballtrikots nachwies, galt TBT als hauptsächlich in Schiffsfarben beheimatet. Als so genanntes Antifouling verhindert es das Anwachsen von Algen und Seepocken an Schiffsrümpfen. Ein Nebeneffekt ist allerdings: TBT hat als hormonell wirkendes Gift erhebliche Schäden bei Austernzuchten in Japan und in der Bretagne angerichtet; einige Schneckenarten in Küstenregionen drohen auszusterben; Schneckenweibchen vermännlichen, bekommen Penisse.

Das bestreitet nicht einmal die Organozinn-Lobby. Durch den ständigen Ausstoß von TBT aus den Schiffsfarben sind außerdem hohe TBT-Werte in Fischen, Seehunden, Walen und Eisbären nachgewiesen worden. „Auch bei Eisbären, die am Ende der tierischen Nahrungskette fressen, sind Missbildungen an den Geschlechtsorganen dokumentiert“, sagt Patricia Cameron von der WWF-Station für Meere und Küsten in Bremen. Mit dem von der UN-Meeresorganistaion IMO bis zum Jahr 2003 verhängten TBT-Verbot für Schiffsfarben schienen alle Probleme gelöst.

Doch die tückische Chemikalie pocht auf einen Platz am Mittagstisch. Mit dem Nachweis, dass Fischkonserven mit TBT belastet sind, hat gerade Ökotest aufgeschreckt. Der Befall von Kartoffeln vor allem mit TPT ist ein weiterer Schlag. TBT-Verbindungen befinden sich in Kunststoffen und können aus ihnen herausgelaugt werden. Besonders fragwürdig ist: Bis zu 5 Prozent TBT/TPT können Pflanzenschutzmittel oder Haushaltskunststoffe als Verunreinigungen enthalten, ohne dass sie ausgewiesen werden müssen. Mehr als 5 Prozent TBT enthalten aber auch Antifouling-Farben in der Regel nicht. „Deswegen ist TBT in kanadischem Wein, in Milch und Cola gefunden worden, die in Kunststofffässern gelagert oder durch Plastikrohre transportiert wurden“, sagt Burckhard Watermann vom Hamburger Forschungsinstitut Limnomar. Auch im Klärschlamm, der oft als Dünger verwandt wird, findet sich TBT, wie die taz schon vor zwei Jahren berichtete.

Das Auftauchen von TBT/TPT in Lebensmitteln hat möglicherweise schwer wiegende Folgen auf Menschen. Neben einem Projekt an der Universität Bochum beschreiben auch Wissenschaftler in Belgien, den Niederlanden, USA und Kanada die Auswirkungen von hormonellen Giften: Etwa Unfruchtbarkeit, Menstruationsbeschwerden und Konzentrationsstörungen.

Es gibt nur drei große TBT-Hersteller: Witco, Elf-Aquitaine und eine koreanische Firma. Marktführer ist Witco, der sich über seine Produktionszahlen ausschweigt. Der Forschungschef des ehemaligen Schering-Ablegers Witco ist Ulrich Stewen. Nebenbei wuselt Stewen als Vizepräsident der Ortep (Organisation der Organozinn-Hersteller). Statt auf Fragen der taz zu antworten, verschickt er lieber verharmlosende Expertisen der Ortep.

Bundesumweltminister Trittin würde am liebsten für alle zinnorganischen Verbindungen Grenzwerte oder Verbote festlegen, also auch für das TPT in Pestiziden. Doch die Zuständigkeit dafür liegt beim Landwirtschaftsminister. Dort ist man noch am Überlegen, ob man Trittins Wünschen folgen will. Auch für die Verwendung in Farben, Textilien ist Trittin auf die Zustimung aus den anderen Ministerien angewiesen.

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