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Die „Spanischen Dörfer“ sind nicht alle gleich

Die Geografie und Mentalität Spaniens sind mehr als vielfältig, wie die Literatur belegt

Literarische Reiseführer können zweierlei leisten. Entweder folgen sie Schriftstellern durch die Landschaft – Stichwort Goethe – oder sie versammeln Texte der Autoren selbst, die dann ein Stimmungsbild abgeben – Stichwort Puzzle.

Der Berliner Wagenbach Verlag hat auf die zweite Variante gesetzt. Er hat eine „Spanische Reise“ zusammengestellt, bestritten von 42 spanischen Autoren der Gegenwart. Gegenwart ist immer ein relativer Begriff. Manche der Autoren sind bereits verstorben, viele Texte stammen aus der Zeit der transición, also des Übergangs zur Demokratie nach Francos Tod im Jahre 1975 bis zur Regierungsübernahme der Sozialisten 1982. Auch die meisten anderen sind aus den 80er-Jahren. Junge Autoren und die „aktuelle“ Gegenwart, seit 1996 politisch gezeichnet durch eine konservative Regierung, bleiben weitgehend ausgespart: Ein Autor, der 1960 geboren wurde, zwei, die in den 50ern geboren sind. Das ist schade, zumal gerade in Spanien der westliche, also marktwirtschaftlich orientierte Literaturbetrieb in großem Stil Einzug gehalten hat.

Entlohnt wird der Leser aber mit exzellenter und aussagekräftiger Literatur der 70er- und 80er-Jahre. Was umso beeindruckender ist, da es sich um oft sehr kurze Buchauszüge handelt. Ein Verfahren, das meist nicht funktioniert, eben weil die Texte aus dem Zusammenhang gerissen sind. Hier aber schon. Seien es die Ausführungen des Nobelpreisträgers Camilo José Cela über einen Stierkampf, der etwas ungeplant und recht unheroisch verläuft, sei es eine Analyse der politischen Geografie Spaniens, die in der Einzahl gar nicht zu denken ist. „Wie viele Basken oder Katalanen ‚auf Leben und Tod‘ werden noch bleiben“, fragt der Verfasser, der Philosoph Fernando Savater, im Jahre 1984, „wenn es niemand mehr gibt, der ‚blindwütig spanisch‘ ist?“ Eine sehr aktuelle Frage.

Einen guten Einblick in die kulturelle Gegenwart, bis hin zu den Neunzigern bietet „Spanien – Die Entdeckung einer europäischen Kultur“: Die Evangelische Akademie Loccum hat im Jahre 1998 unter Federführung des Spanienkenners Hans-Peter Burmeister eine Dokumentation zu eben diesem Thema veröffentlicht. Angefangen mit einem Bericht zu „Spaniens Weg nach Europa. Von der Diktatur zur Demokratie“ über die Rolle der Medien und das „Kulturbusiness“ und den eher geringschätzigen Umgang mit dem maurischen und jüdischen Erbe bis hin zur „Erinnerung an den Bürgerkrieg von 1936“. Eine nicht unbedingt schmeichlerische Bestandsaufnahme, die aber der Realität und ihren Möglichkeiten Anerkennung zollt.

Und zum Schluss noch ein kleiner Tipp: Der berühmte Märchenautor Hans Christian Andersen, ein passionierter Reisender, war im Jahre 1862 in Spanien unterwegs. Alles, was ihm „echt spanisch“ vorkam, hat er aufgeschrieben. Martin Hager„Spanische Reise“. Wagenbach Verlag 1998, 207 S., DM 29,80. „Spanien – Die Entdeckung einer europäischen Kultur“. Loccum 1998, 261 S., DM 18. Hans Chr. Andersen: „In Spanien“. Rotbuch 1998, 272 S., DM 32.

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