■ Das Portrait: Machtlose Moralinstanz
Thomas Klestil
Die Wähler der FPÖ hatten ihm schon 1992 in der Stichwahl gegen den Sozialdemokraten Rudolf Streicher die entscheidenden Stimmen gebracht. Bei der Wiederwahl 1998 hatte der ursprünglich von der ÖVP nominierte Thomas Klestil sogar die offene Unterstützung der Freiheitlichen. Wahlentscheidend war allerdings die Entscheidung der SPÖ, keinen Gegenkandidaten aufzustellen.
Der Bundespräsident, der es vorzog, als Unabhängiger anzutreten, ist also allen drei großen Parteien verpflichtet. Nach den Nationalratswahlen vom 3. Oktober 1999 aber wollte er nicht nur Unabhängigkeit demonstrieren, sondern seine Vollmachten zum Äußersten ausschöpfen. Seine eisige Miene bei der Angelobung des Kabinetts Wolfgang Schüssel am Freitag vergangener Woche ließ keinen Zweifel daran, mit welchem Widerstreben er seiner Pflicht nachkam. „ÖVP und FPÖ haben eine Mandatsmehrheit im Parlament, die in einer Demokratie zu respektieren ist. Der Wille der beiden Parteien, eine Koalition zu bilden, ist daher in einem demokratischen Rechtsstaat zu akzeptieren“, verkündete Klestil wenig später in einer ungewöhnliche Fernsehansprache.
Schon 1995 hatte Klestil einen fliegenden Wechsel Wolfgang Schüssels zu einer Koalition mit Haiders Freiheitlichen gestoppt. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler aus proletarischem Elternhaus hält ein Bündnis mit Haider für gefährlich. Dass Österreich international isoliert würde, war ihm wohl früher klar als den anderen Akteuren. Schließlich war er 1986 Botschafter in Washington, als die Wählerentscheidung zugunsten des ehemaligen Wehrmachtsoffziers mit den Gedächtnislücken, Kurt Waldheim, für weltweite Proteste sorgte.
Als Nachfolger Waldheims, der während seiner sechsjährigen Amtszeit praktisch keine Staatsbesuche machen und empfangen konnte, hatte Klestil viel zu tun. Bei einem Besuch in Israel im November 1994 bekannte er sich als erster Bundespräsident zur österreichischen Mitschuld am Holocaust.
In der heimischen Boulevardpresse zelebrierte der eher langweilige Diplomat in für einen Staatsmann erstaunlich exhibitionistischer Weise seine Trennung von Ehefrau Edith und seine Affaire mit der 20 Jahre jüngeren Diplomatin Margot Löffler, die er inzwischen geehelicht hat. Ralf Leonhard
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