: Lektüre für einen notwendigen Lernprozess
Die Israelkorrespondentin Gisela Dachs hat ein Buch über den Nahen Osten publiziert
Das von der Zeit-Korrespondentin Gisela Dachs herausgegebene Buch über das Verhältnis von Deutschen, Israelis und Palästinensern liest sich wie ein Mosaik: Siebzehn AutorInnen – unter ihnen dreizehn KorrespondentInnen für deutsche Medien – liefern Eindrücke und Anekdoten, zuweilen auch Eitelkeiten, in jedem Fall aber kluge Gedanken.
Anne Ponger (seit 30 Jahren als Korrespondentin in Jerusalem, davon 17 Jahre für die Süddeutsche Zeitung) macht auf den Wandel von Identitäten aufmerksam. Dazu gehört nach ihrer Beobachtung der chamäleonartige Kleidertausch zwischen den Welten arabischer und jüdischer Extremisten, die der weiblichen Interviewerin eine zusätzliche Maskerade abverlangt.
Mit den Identitäten verschwimmen beinahe die festen Grenzen zwischen Deutschen, Israelis und Palästinensern. Aber nicht bis zur Unkenntlichkeit. Deutsche Journalisten könnten sich nicht „vom Leid der Juden in der Vergangenheit distanzieren“, betont die Herausgeberin, denn dieses Leid sei schließlich Teil ihrer eigenen Geschichte. Jörg Bremer (Frankfurter Allgemeine Zeitung) zeigt, dass deutsche Israelreisende sich dem Verbrechen des Holocaust stets aufs Neue und jeweils individuell stellen müssen. Ulrich W. Sahm meint, in der Zukunft könnten „die Deutschen“ in dem besonderen Verhältnis zu Israel nur gewinnen – sofern sie nicht zu einem „irrealen ‚Schlussstrich‘ “ Zuflucht nehmen würden. Die Palästinenser bezieht Sahm in seine Überlegungen freilich nicht ein.
Zu Recht kritisiert er Klischees in deutschen Medien. Notorisch wird die Berichterstattung aus Israel besonders gern mit Bildern orthodoxer Juden illustriert, die gleichzeitig als besonders friedensfeindlich dargestellt werden. Letzteres ist pauschal und falsch und Ersteres verkennt den ökonomisch-technologischen Wandel der letzten Jahre.
Der MDR-Hörfunkkorrespondent Frank Ludwig betrachtet die Kehrseite dieses Wandels. Er vergleicht die Benachteiligung vieler orientalischer Juden in Israel mit der Situation der Ostdeutschen. Eine gewagte, womöglich nicht falsche These. Inge Günther (Frankfurter Rundschau) hat ihren Umzug von Berlin nach Jerusalem zu einem Städtevergleich verarbeitet. Während die Teilung für Berlin zunehmend zur Geschichte werde, sei sie für das „einseitig vereinte“ Jerusalem „Gegenwart und Zukunft“.
Den analytisch brillantesten Beitrag hat die Herausgeberin selbst geschrieben: Gisela Dachs befasst sich mit Tendenzen in der arabischen Welt, den Holocaust zu leugnen und Deutschen gerade wegen Hitler Sympathien entgegen zu bringen. Unter Palästinensern wachse allerdings – mehr als in anderen arabischen Gesellschaften – die Bereitschaft, diese verheerenden Denktraditionen zu überwinden. Umgekehrt sei die israelische Rechte lange nach dem Motto verfahren: „Je böser die arabische Welt, umso eher lässt sich gegenüber den Palästinensern eine harte Linie rechtfertigen.“ Auch dieses Feindbild bröckelt.
Gisela Dachs beschreibt den Beitrag, den der Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung in den palästinensischen Gebieten, Henning Niederhoff, für ein „neues Denken“ auf beiden Seiten leistet. Er lädt regelmäßig Palästinenser, Israelis und Deutsche zu gemeinsamen Besuchen der israelischen Holocaustgedenkstätte Jad Vaschem ein.
Der israelische Journalist Daniel Dagan kann sich sogar vorstellen, dass in Zukunft deutsche Soldaten eine „arabisch-israelische Vereinbarung“ absichern. Ein Engagement in Sachen Menschen- und Bürgerrechte wäre da vielleicht naheliegender, möchte man meinen – ganz ohne Militär. Als ein Projekt gewissermaßen, das den deutsch-israelisch-palästinensischen Lernprozess zu befördern hilft. Martin Forberg
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