: Spanien: Marokkaner fürchten um ihr Leben
In der Stadt El Ejido machen Randalierer Jagd auf marokkanische Immigranten. Die Pogrome haben bereits mehrere Tote und zahlreiche Verletzte gefordert. Die Polizei schaut tatenlos zu ■ Aus Madrid Reiner Wandler
Sie ziehen zu Hunderten durch die Straßen und grölen „Mauren raus!“ Und sie meinen es ernst: Mit Baseballschlägern, Eisenstangen und Motorradketten macht die Meute Jagd auf Marokkaner. Seit am Samstag die 27-jährige Spanierin Encarnacion Lopez auf einem Markt im südspanischen El Ejido von einem geistig behinderten Nordafrikaner erstochen wurde, herrscht im 52.000-Seelen-Ort Pogromstimmung. Und das, obwohl der Täter gefasst wurde.
Die einen sperren die Zufahrtsstraßen mit Barrikaden ab, die anderen zerstören Bars, Geschäfte und Häuser der 11.000 ortsansässigen Immigranten. Auch die Büros der Frauenorganisation der sozialistischen Partei PSOE und einer Solidaritätsgruppe, die den Einwanderern bei Ämtergängen zur Hand gehen, wurden völlig zerstört. Andere sorgen dafür, dass Journalisten nicht Zeugen der Gewalt werden. Wenn sie einen Immigranten erwischen, machen sie kurzen Prozess. 23 teils Schwerverletzte wurden bis gestern ins Krankenhaus eingeliefert.
Die 500 Beamten der Sondereinsatzkommandos schauten selbst dann noch gelassen zu, als die Randalierer den stellvertretenden Regierungsdelegierten zu Boden schlugen, als dieser nach der Beerdigung von Lopez am Sonntag die Kirche verließ. Spanien und Andalusien sind im Wahlkampf. Weder der konservative Regierungschef, José María Aznar in Madrid, noch sein sozialistischer Kollege an der Spitze der andalusischen Regionalregierung in Sevilla, Manuel Chaves, möchte es sich mit der einheimischen Bevölkerung verscherzen. Der einzige Verhaftete ist ein marokkanischer Jugendlicher. Sein Vergehen: Er hatte seiner Wut auf die Untätigkeit der Polizei freien Lauf gelassen.
„Die verwechseln einen Kriminellen mit einem ganzen Kollektiv von Leuten, die nichts anderes tun, als einer ehrlichen Arbeit nachzugehen“, beschwert sich der Sprecher des marokkanischen Einwanderervereins Atime, Mohammed Mrabet. Ihm bieb nur seinen Mitgliedern zu empfehlen, gestern nicht zur Arbeit zu gehen und zum Selbstschutz in großen Gruppen zusammenzubleiben.
In El Ejido gärt es schon länger. Vor zwei Wochen waren tausende auf die Straße gegangen, nachdem ein Nordafrikaner zwei Landbesitzer ermordet hatte. Damals verlief die Demonstration friedlich. „Wir haben uns als Nebenkläger bei Gericht gemeldet“, erklärt Atime-Sprecher Mrabet nach dem Mord an der jungen Frau. Doch weder damit noch mit einem massenhaft befolgten Aufruf zum Mittagsgebet am Sonntag nahe des Tatorts im Gedenken an die Ermordete gelang es dem Einwandererverein die Gemüter zu besänftigen.
Die meisten Einwanderer arbeiten in den 21.000-Hektar-Folienzelten in El Ejido, mit denen sich das Dorf am Rande der südspanischen Wüste von Almería den Namen eines Eldorados verdiente. Dank des warmen Klimas, der Tiefbrunnen und der billigen Arbeitskräfte aus Afrika – 20 bis 60 Mark am Tag – beliefert die Region ganzjährig die nordeuropäischen Märkte mit Obst und Gemüse. Mit den Arbeitern, die die Landwirte teils per Schleuser holen ließen, wollen sie nichts zu tun haben. Diese leben isoliert von den Spaniern in schäbigen Hütten nahe ihren Einsatzorten.
Wer die Grenze überschreitet, bekommt es mit ortsansässigen Schlägerbanden zu tun. Längst reden die Immigranten in Südspanien von einer Art Ku-Klux-Clan. Immer wieder greifen die Landbesitzer und ihre Gehilfen zur Selbstjustiz gegen aufmüpfige Arbeiter. Dabei werden sie nicht nur krankenhausreif geschlagen. Vor etwas mehr als einem Jahr wurde ein Marokkaner in El Ejido regelrecht hingerichtet. Nachts drangen mehrere Vermummte in seine Hütte ein und erschossen ihn.
Als sich die Polizei in der Nacht zu Montag dem Mob in den Weg stellte, der einige Hütten stürmen wollte, riefen die Angreifer: „Ihr werdet gehen, doch wir bleiben da!“ Die Angst regiert in El Ejido.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen