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Berlin wird zur Hauptstadt der Arbeitslosigkeit

Entgegen Bundestrend 10.000 Arbeitslose mehr. ABM-Mittel werden weiterhin gekürzt

Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD) spricht stolz davon, dass der „Abbau der Arbeitslosigkeit wie erwartet vorankommt und an Fahrt gewinnt“. Für die Hauptstadt gilt das allerdings nicht. Entgegen dem Bundestrend ist die Zahl der Arbeitslosen an der Spree deutlich angestiegen: Im Januar sind 9.277 Menschen ohne Beschäftigung mehr registriert worden als im Vormonat. 277.118 Menschen waren im Januar in Berlin arbeitslos gemeldet.

Das Landesarbeitsamt Berlin/Brandenburg begründet den Rückgang der Beschäftigung mit dem Anstieg der Entlassungen in Baugewerbe und Handel. Trotz des Jugendsofortprogrammes der Bundesregierung hat auch die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen in Berlin und Brandenburg im Vergleich zum Vorjahr zugenommen.

Die Arbeitslosenquote in der Hauptstadt ist damit von 15,9 auf 16,4 Prozent angewachsen. Noch schlechter sieht die Bilanz aus, wenn man berücksichtigt, dass Berlins Arbeitssenatorin Gabriele Schöttler ihre aktive Arbeitsmarktpolitik weniger reduziert hat als im Vormonat. Im Vergleich zum Januar 1999 ist die Zahl der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen freilich stark zurückgegangen: Waren vier Monate nach der Bundestagswahl 1998 noch 147.600 Menschen in der Region Berlin/Brandenburg mit arbeitsmarktpolitischen Mitteln gefördert worden, so waren es im ersten Monat dieses Jahres noch 105.100. Zusätzlich verschärft wird die Situation dadurch, dass nach Erkenntnissen des Landesarbeitsamtes immer mehr Berliner darauf verzichten, sich überhaupt arbeitslos zu melden.

Berlins Arbeitssenatorin Schöttler begründet die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in Berlin mit dem Wandel der Stadt zur Dienstleistungsmetropole. Das erklärt freilich nicht, dass auch in den Dienstleistungsbranchen mehr Menschen an die Luft gesetzt wurden als im Vormonat.

Die Senatorin kündigte an, dem Negativtrend mit mehr Qualifizierungsangeboten stoppen zu wollen. „Jede hier eingesetzte Mark ist eine Investition für die Zukunft.“ Dem steht allerdings die Entscheidung des Berliner Senats entgegen, zukünftig keine Mittel des europäischen Strukturfonds für die Qualifizierung von ABM-Beschäftigten zu verwenden. Wegen der Haushaltssperre des Senats sind für das Jahr 2000 zudem nur 75 Prozent der Vorjahresmittel für ABM-Maßnahmen freigegeben.

Dieter Scholz, Landesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin und Brandenburg, fürchtet angesichts der Entwicklung die weitere Spaltung der Arbeitsmärkte in Ost und West. Während in Westdeutschland die Arbeitslosenquote durchschnittlich neun Prozent betrug, lag sie in den östlichen Bundesländern bei 19,1 Prozent. Den Trend in der Region Berlin/Brandenburg betrachtet Scholz nach eigener Aussage nur begrenzt optimistisch: „Bei knapp 522.600 Arbeitslosen kann wohl von einer Entspannung des regionalen Arbeitsmarktes nicht die Rede sein.“

Andreas Spannbauer

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