Das Märchen vom fiesen Zaunkönig

Wie ein listiger Vogel Namensgeber einer CDU-Stiftung wurde

Als die Vögel einstmals zur Königswahl schritten, mischte sich „auch ein ganz kleiner Vogel, der noch keinen Namen hatte“ unter die Schar. Herrscher sollte werden, wer am höchsten in die Lüfte steigen kann. Heimlich versteckte sich der Vogel unter dem Brustgefieder eines potentiellen Amtsanwärters und späteren deutschen Wappentiers. Als also der Adler aus schwindelerregender Höhe wieder sinken musste, krabbelte der durchtriebene Winzling hervor und schwang sich gut ausgeruht vom Rücken des Adlers aus so hoch in die Luft, dass er „Gott auf seinem Thron konnte sitzen sehen“. Nach der Landung nahm er den Hals randvoll: „König bün ick! König bün ick!“

Die anderen Vögel protestierten zornig: „Durch Ränke und Listen hast du es dahin gebracht.“ Ein zweiter Wettbewerb wurde angesetzt. König sollte nun sein, wer am tiefsten unter die Erde komme. Der Zaunkönig schlüpfte diesmal in ein Mauseloch und meldete piepsend seinen Regierungsanspruch an.

Die wütenden Vögel setzten ihn stattdessen gefangen. Er konnte zwar ungerupft entkommen, aber: „Der kleine Vogel läßt sich nicht gerne sehen, weil er fürchtet, es ginge ihm an den Kragen, wenn er erwischt würde.“

So geht es im Märchen vom kleinen Zaunkönig der Gebüder Grimm. Der Vogel kam zu seinem Spottnamen, weil er sich die Macht mit List erschleichen wollte. Er vermag selbst nicht höher als ein Zaun zu fliegen.

So ist der Zaunkönig, lateinisch Troglodytes troglodytes, in manchen Gegenden Zaunsänger, Zaunschlüpfer oder Zaunspatz genannt, im vorigen Jahrhundert zum Spottbegriff für deutsche Kleinstaaterei geworden. Was mag die Herren Wittgenstein und Weyrauch also umgetrieben haben, als sie ihrer Liechtensteiner Stiftung den Namen „Zaunkönig“ gaben?

Acht Gramm leicht ist dieses seltsame Tier. Standorttreu und winterfest ist es, ein winziges Federbällchen und kann dennoch ganz gemein sein. Und dann versteckt sich der Zaunkönig gerne.

So hält er es im Märchen ebenso wie in der Wirklichkeit. Kastanienbraun ist er, manchmal grau bis schwärzlichbraun, mit kurzem, aber aufrechtstehendem Schwanz. Die kurzen Flügel haben sich an das erdnahe, heimliche Umherschlüpfen in Dickicht und Gebüsch angepasst, eine rundliche Figur hat er, kräftige Füße und lange Krallen: In ihrer natürlichen Umwelt sind Zaunkönige nur schwer zu entdecken.

Für den Namensgeber einer zwielichtigen Stiftung hat er allerdings einen Makel: Er singt. Und das nicht zu knapp. Da flattert der kleine Kerl im Frühling zwei Hände hoch über dem Boden und ist zwar kaum zu sehen, lärmt dafür aber für drei. Er hüpft und zappelt und wie besessen ruckt er dabei mit Flügeln und Schwanz.

Nicht etwa Verschwiegenheit, wie es eine Stiftung zur Geldwäsche zuträglich wäre, sondern ganz „ungewöhnliche Sangeslust“ attestiert ihm Grzimeks Tierleben: „Einige Arten gehören zu den vollendetsten Sängern im Vogelreich.“ Zaunkönige singen so wundersam schön, dass Amazonasindianer ihre Paddel sinken lassen und den „rätselhaften Tönen“ lauschen.

Manche der weltweit etwa ein Dutzend Gattungen üben sich auch im „Duettsingen“. Einige arbeiten im Konkurrenzkampf um Nahrung und Nistplätze mit harten Bandagen. Sie schmeißen die Eier der eigenen und anderer Arten aus dem Nest. Alle aber haben eine Vorliebe für dunkle Ecken und sumpfiges Gelände.

Heide Platen, Frankfurt