: Der Erbhof der Sozialfilzokratie
PUA Filz: Zwischenbericht der CDU zur HAB-Riez-Affäre ■ Von Sven-Michael Veit
Sie sei ihnen gegönnt. Die Erleichterung darüber, dass auch andere Parteien so ihre Skandale haben. Zuvörderst die Hamburger SPD ihren Filz, und den auszubreiten bereitet Antje Blumenthal und Dietrich Wersich Genugtuung. Zumal der Analyse der zwei CDU-Mitglieder im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) Filz kaum zu widersprechen ist.
Fast ein dreiviertel Jahr lang hat sich der PUA in 18 Sitzungen mit der Vernehmung von rund 20 Zeugen und der Durchsicht Tausender Aktenseiten diversen Merkwürdigkeiten beim Beschäftigungsträger Hamburger Arbeit (HAB) gewidmet (taz berichtete mehrfach). Dem Ausschuss gehören sieben Abgeordnete der SPD, fünf der CDU, zwei GAL- und ein Regenbogen-Abgeordneter an.
Der Zwischenbericht, den Blu-menthal und Wersich gestern vorstellten, bestätigt nahezu jeden jemals geäußerten Verdacht über das „Beziehungsgeflecht“, so Blumenthal, zwischen HAB, der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) und dem SPD-Kreisverband Nord. Nicht nur Rechtsverstöße und Interessenkollisionen seien zu belegen, sondern auch ein der öffentlichen Kontrolle entzogenes System sozialfilzokratischer Postenbeschaffung.
Da wird 1990 ein ehemaliger Bürgerschaftsabgeordneter der SPD-Nord namens Uwe Riez per Telefonanruf vom damaligen Senator und HAB-Aufsichtsratschef Ortwin Runde (SPD-Nord) zum Geschäftsführer des Trägers gekürt, obwohl er keine spezifischen Qualifikationen vorzuweisen hat. Gemeinsam sorgen sie für üppige Finanzzuweisungen der BAGS an die HAB, die mit den Rechtsvorschriften nur schwerlich in Einklang zu bringen sind.
1996 wird Riez durch einen Anruf der Runde nachgefolgten BAGS-Senatorin Helgrit Fischer-Menzel, bis 1991 Chefin der SPD-Nord, zum Abteilungsleiter in ihrer Behörde gemacht – und bereinigt alle in seiner Amtszeit entstandenen Probleme mit einem rückwirkenden Sammelbescheid über 260 Millionen Mark zumindest formal.
Diese „Vermischung von Personen, Positionen und Funktionen“, befindet Wersich, habe die BAGS zu einem „Erbhof der Nord-SPD“ werden lassen, in dem Sozialdemokraten unabhängig von Qualifikationen „Musterkarrieren“ gemacht hätten. Zudem sei „unter Missachtung von Rechtsnormen“ und mit Steuergeldern Rundes „Ziehkind“ HAB gepäppelt worden.
Als Konsequenzen fordern Blumenthal und Wersich unter anderem die Kontrolle bestehender Befangenheitsregelungen, die Abberufung von SenatorInnen aus den Aufsichtsräten städtischer Firmen, die grundsätzlich öffentliche Ausschreibung von Positionen in öffentlichen Unternehmen sowie disziplinarrechtliche Folgen für einzelne Verantwortliche. Letzteres sei notwendig, obwohl ein Disziplinarverfahren gegen Riez von der derzeitigen BAGS-SPD-Senatorin Karin Roth sang- und klanglos eingestellt wurde. Aber, so Blumen-thal, „man soll die Hoffnung auf unvoreingenommene Ermittlungen ja nie aufgeben“.
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