Onlinehandel mit der Schneckenpost

■ In deutschen Firmen reden Vorstände und Aufsichtsräte nicht über den E-Commerce. Sie lassen ihre EDV-Abteilungen weiterwursteln. Und die EU droht wieder mal mit einer Sondersteuer für den Einkauf im Internet

Die Europäische Kommission lässt nicht locker. Am Montag kündigte sie ein Papier an, in dem sie darlegen will, wie das „Herunterladen von Musik, Videos und Computerprogrammen aus dem Internet“ besteuert werden soll. Der Vorschlag könnte den elektronischen Handel in Europa ausbremsen, noch bevor er richtig begonnen hat. Nicht nur der neue Megakonzern von AOL und Time Warner, auch alle anderen globalen Medienunternehmen haben in letzter Zeit Pläne bekannt gegeben, das Internet in Zukunft als einen ihrer wichtigsten Vertriebswege nutzen zu wollen. Das spart nicht nur Kosten für den Zwischenhandel, sondern vor allem die Steuern, die in den Empfängerländern auf den Ladenpreis aufgeschlagen würden. Weil die Ware im Netz eingekauft wurde, kann die Landessteuer nicht erhoben werden. Wiederholt haben Befragungen gezeigt, dass allein der Preisvorteil die Kunden dauerhaft an den Onlinehandel bindet.

Aber die Lücke im Steuerrecht, die bislang noch den Einkauf im Netz verbilligt, sorgt seit Jahren für Streit zwischen der EU und der amerikanischen Regierung. Ein Vertreter der USA legte in Brüssel schon mal vorsorglich Protest ein gegen die neuen Pläne, die erst in etwa zwei Monaten fertig ausformuliert sein werden. Ein Sprecher der Kommission konnte noch nicht erläutern, wie die Internetsteuern in den einzelnen Mitgliedsländern eingetrieben werden sollen. Er versprach „sehr einfache Regeln“, die nur für Internethändler einer gewissen Größe gelten sollen. Konzerne wie Sony, AOL Warner oder auch Bertelsmann müssten mit staatlichen Aufschlägen auf ihre Netzschnäppchen rechnen, kleinere Firmen dagegen nicht.

Wie eine solche Vorschrift mit dem Gebot der Transparenz und dem voraussehbar nachhaltigen Widerstand der USA in Einknag zu bringen ist, bleibt das Geheimnis der Brüsseler Kommission. Mit Sicherheit sind komplizierte Steuergesetze so ziemlich das Letzte, was der Onlinehandel heute gebrauchen kann. Er floriert nur auf dem Papier – und an der Börse. Auch am deutschen „Neuen Markt“ werden Neuemissionen der Internetbranche regelmäßig überzeichnet. Offenbar zweifeln die Anleger nicht an glänzenden Profiten in der Zukunft.

Tatsächlich rechnet auch eine Studie im Auftrag der Stadt Hannover damit, dass sich der Umsatz im Onlinehandel in diesem Jahr etwa verdoppeln wird. Dennoch gibt diese Prognose keinen Anlass zu Euphorie. In der Region um die niedersächsische Landeshauptstadt sind im vergangenen Jahr gerade mal 37.000 Einkäufe online über das Internet abgewickelt worden. Ende dieses Jahres könnten es 84.000 werden, schätzt die Studie, und sie kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Wenn sich dieser Trend fortsetzt, wird der Onlinehandel im Jahr 2003 lediglich 1 Prozent des Einzelhandelsumsatzes der Region erreichen.

Hannover darf als repräsentativ für deutsche Mittelstädte gelten. Deutschland ist tiefe Onlineprovinz. Die Zuwachsraten der privaten Anschlüsse liegen sogar noch unter dem Trend von Hannover. Das ist das Ergebnis einer Langzeitstudie mit 2.500 Befragten in Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die das Institut „Burke Infratest“ in München veröffentlicht hat. Danach benutzen inzwischen 17 Millionen Deutsche das Internet. Das entspreche einem „Verbreitungsgrad“ von 27 Prozent, sagen die Meinungsforscher.

Deutschland liegt damit im Mittelfeld zwischen Frankreich mit 13 Prozent und Großbritannien mit 30 Prozent Internetnutzung. Überrascht waren die Befrager, dass in Deutschland die Frauen an diesem relativen Erfolg zu 40 Prozent beteiligt sind. Die Vermutung, der Computer sei ein reines Männerspielzeug, ist damit hinreichend widerlegt, aber der Fortschritt kommt nur zäh voran. Die Studie stellt fest, der Zuwachs der Internetnutzung habe sich in Deutschland auf „10 bis 12 Prozent pro Halbjahr eingependelt“. Was nun den Onlinehandel betrifft, so haben in dieser Befragung nur 20 Prozent angegeben, schon einmal etwas im Internet eingekauft zu haben. Auch in Hannover übertrifft die Zahl der Personen mit Internetzugang (80.000) bei weitem die Zahl der Interneteinkäufe. Nicht nur die notorisch hohen Telefongebühren sind schuld an dieser auffälligen Zurückhaltung. Die Onlinevermarkter selbst vergraulen ihre möglichen Kunden gleich scharenweise mit schierer Inkompetenz. Die Softwarefirma Brio hat in einer eigenen Marktstudie unter 1.400 deutschen Firmen herausgefunden, dass nicht einmal 5 Prozent der Befragten das Onlinegeschäft schon einmal zu einem Thema der Vorstände und Aufsichtsräte gemacht haben. Noch immer werkeln EDV-Abteilungen unkontrolliert an ihren Websites herum.

Was dabei in der Versicherungsbranche herauskommt, haben sich die Unternehmensberater Mummert + Partner genauer angeschaut. Online-Finanzdienstleistungen sind seit den Tagen des seligen Btx-Banking in Deutschland gut eingeführt, so scheint es. Doch von den 50 befragten umsatzstärksten Versicherern nutzen ganze 4 Prozent das Internet. Von dieser Minderheit wiederum sieht sich nur jeder sechste in der Lage, den Abschluss einer Versicherung auch tatsächlich online anzubieten – in allen anderen Fällen wird die Police per Post zur Unterschrift zugesandt. Die Rechtslage sei zur Zeit noch zu unklar, rechtfertigen die Unternehmer diese Praxis. Das allerdings kann wohl kaum erklären, wieso nur jede zehnte Website eines deutschen Versicherers die überaus einfach zu programmierende Möglichkeit anbietet, die günstigsten Tarife gleich selbst auszurechnen.

Die Banken bekommen etwas bessere Noten, zwei Drittel von ihnen bieten nicht nur den Zugriff auf das eigene Konto, sondern auch Informationen über Aktien- und Devisenkurse an, manche verschicken diese Daten sogar an das Handy des Kunden. Einen „echten Kundenservice im Internet“ konnte die Studie aber nur bei „ganz, ganz wenigen Unternehmen“ erkennen. 95 Prozent der Banken und Versicherungen besitzen zwar eine E-Mail-Adresse, aber 80 Prozent beantworten online gestellte Fragen mit der Schneckenpost. Der Dienstweg ist den Versicherern besonders heilig: „Die meisten reagieren auf Onlineanfragen mit dem Verweis auf den Außendienstler vor Ort“, sagt ein Vorstand der Unternehmensberater.

Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de