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Nochmals ja zu Menschenrechten

Regierungserklärung des Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel (ÖVP): „Österreich zeichnet sich durch höchste humanitäre Standards aus.“ ■ Aus Wien Ralf Leonhard

Österreich habe sich nicht verändert, „geändert hat sich nur der Blickwinkel der Beobachter“, verkündete Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) gestern bei seiner Regierungserklärung. Wie schon am Vortag bei der außerordentlichen Sitzung des Nationalrates hatte der Innenminister das Parlamentsgebäude durch ein riesiges Aufgebot von Sicherheitsbeamten abriegeln lassen. Drinnen rief ein von den Auslandsreaktionen irritierter Schüssel in Erinnerng, dass sich Österreich „durch höchste humanitäre Standards“ auszeichne: „Niemand soll daran zweifeln, dass wir uns zu Toleranz und Menschenrechten bekennen.“ Er rief die Kritiker auf, ihre „Vorurteile und vorgefassten Meinungen im Lichte der österreichischen Wirklichkeit zu überdenken“, und forderte die Rückkehr zur Verhältnismäßigkeit politischer Aktionen.

Die Leitlinien der ÖVP-FPÖ-Regierung seien „mehr Mut zur Zukunft statt Klammern am Alterhergebrachten, (....) mehr Eigenverantwortung (...) und Anerkennung der individuellen Leistung statt Gleichmacherei“. Zur Lachnummer wurde die Ankündigung, Wirtschaftsminister Bartenstein wolle „das Klischee überwinden, dass es einen Gegensatz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gibt“. Ein gefundenes Fressen für Grünen-Chef Alexander Van der Bellen, der bei der anschließenden Debatte fragte: „Interessengegensätze schlichtweg leugnen – soll das Sozialpartnerschaft sein?“

Ganzseitige Anzeigen sollen das Ausland beruhigen

Für Polemik sorgte auch eine ganzseitige Anzeige der Bundesregierung in der International Herald Tribune mit einer Übersetzung der Präambel des Koalitionsprogramms. Das darin enthaltene Bekenntnis zu den Menschenrechten, gegen Fremdenhass und Antisemitismus soll offenbar im Ausland für Beruhigung sorgen. Wie die Kosten von fast 100.000 Mark mit den geplanten Einsparungen bei der Öffentlichkeitsarbeit vereinbart werden sollen, wurde ebenso hinterfragt wie die Tatsache, dass neben Schüssels Unterschrift nicht die der Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer prangt, sondern die von Jörg Haider. Der sitzt aber gar nicht in der Regierung.

Für den sozialdemokratischen Klubchef Peter Kostelka ist das Regierungsprogramm „unseriös oberflächlich, widersprüchlich, ein Zeugnis von Ratlosigkeit und Wehleidigkeit“. Dort wo die Regierung der Bevölkerung ihre Ängste nehmen hätte können, „bei den Pensionen, der Krankenversicherung, der Arbeitsmarktpolitik“, sei sie sehr plakativ geblieben. Konkret sei das Programm nur, „wenn es um ihre eigene Klientel geht“. Also um die Wirtschaft. Noch während Schüssel auf der Rednertribüne stand, meldete sich die Industriellenvereinigung (IV) mit einem positiven Statement zu Wort. Das Programm enthalte „viele Punkte, die von der Wirtschaft schon lange gefordert wurden“. IV-Vorsitzender Peter Mitterbauer begrüßte die angekündigten Reformen: „Die alte Sozialpartnerschaft hat sich überlebt. Die Sozialpartner sollten diesen Umbruch als Chance und Heraussforderung verstehen.“ Da die Gegensätze zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern offenbar doch noch nicht gänzlich aufgelöst wurden, kündigte die ÖVP-nahe Fraktion Christlicher Gewerkschafter heftigen Widerstand gegen die Neuerungen im Pensions- und Sozialrecht an. In diesem Zusammenhang bereitete die SPÖ eine dringliche Anfrage an Sozialministerin Sickl vor. Freuen über die politische Wende kann sich vor allem der ORF: Wenn es so weitergeht, könnten die Übertragungen der Parlamentsdebatten noch zum Quotenhit werden.

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