: Marokko kritisiert spanische Polizei in El Ejido
Vertreter der marokkanischen Regierung und der EU verurteilen Pogrome gegen Gastarbeiter in Südspanien, Ministerpräsident Aznar distanziert sich nur halbherzig
Madrid (taz) – Die marokkanische Regierung sorgt sich um ihre Bürger im südspanischen Ort El Ejido. Die Staatssekretärin für Zusammenarbeit, Aicha Belarbi, kritisierte am Mittwochabend in Madrid die Untätigkeit der spanischen Polizei angesichts der Pogrome, der 10.000 marokkanische Einwanderer in El Ejido und umliegenden Orten in der Provinz Almería ausgesetzt sind. Madrid müsse endlich „Maßnahmen ergreifen, um die Immigranten vor den Überfällen zu schützen“, forderte die Staatssekretärin nach einem Treffen mit Spaniens Außenminister Abel Matutes.
Die Angriffe begannen am vergangenen Samstag, nachdem ein geistig gestörter Marokkaner eine Spanierin erstochen hatte. Bei der „Jagd auf die Marokkaner“ – wie Staatssekretärin Belarbi die Ereignisse nennt – wurden über 50 Menschen verletzt und dutzende von Häusern, Geschäften und Autos von Nordafrikanern zerstört. Die Polizei sah meist untätig zu. Von den 42 Verhafteten sind 26 Marokkaner und nur 16 Spanier. Nur 8 von ihnen wurden wegen Angriffen auf Immigranten verhaftet.
Auch aus Brüssel kommen erste Proteste. Der Präsident der EU-Kommission, Romano Prodi, „verurteilt energisch jedwede rassistische und ausländerfeindliche Ausdrucksformen“. Dies sei „mit den Grundsätzen der EU nicht vereinbar“. Er fordert eine europaweite „Abstimmung der Regeln und der Verhaltensformen“.
Dem Politologen nordafrikanischer Herkunft an der Universität in Paris und Europaabgeordneten Sami Nair ist dies nicht genug. Er forderte im spanischen Radio SER konkrete Maßnahmen gegen Spanien. Es könne nicht angehen, dass Regionen wie die von El Ejido von der EU auch noch subventioniert würden.
El Ejidos Bürgermeister Juan Enciso von der konservativen Volkspartei (PP) heizt die ausländerfeindliche Stimmung weiter an. Er forderte erneut, die illegal eingereisten Gastarbeiter aus Spanien auszuweisen. Der spanische Ministerpräsident José María Asznar verurteilte derweil bei einem Besuch in Paris die ausländerfeindliche Gewalt in El Ejido, zeigte aber zugleich Verständnis für die Bewohner des Ortes.
In der spanischen Solidaritätsbewegung und in Teilen der Gewerkschaften wird jetzt einmal mehr die Idee eines ethischen Gütesiegels diskutiert. Wie beim Umweltgütezeichen oder bei der „fair trade“-Kampagne könnten damit Produkte ausgezeichnet werden, die unter Respektierung der Rechte der Arbeiter erzeugt wurden. Die Landwirte Südspaniens würden dabei komplett durchfallen.
Da die marokkanischen Einwanderer nach den Pogromen einen unbefristeten Streik ausgerufen haben, stellen die Grundbesitzer jetzt Immigranten aus Osteuropa als Streikbrecher ein. Protestieren die Nordafrikaner, ist die Polizei schnell zur Stelle.
Gestern wurde in der 40 Kilometer entfernten Provinzhauptstadt Almería ein 19-jähriger Bauer nach Auseinandersetzungen mit Streikposten in ein Gesundheitszentrum eingeliefert. Nach Angaben der Ärzte wies er Verletzungen an Händen, Knien und im Gesicht auf. In Vícar bei El Ejido war bereits zwei Stunden zuvor eine von Marokkanern bewohnte Hütte in Flammen aufgegangen. Die Polizeit vermutet Brandstiftung.
Reiner Wandler
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