: Der Preis der Liebe
Zum 14. Mal wird am 19. Februar auf der Berlinale der Teddy-Award für den besten Film mit einem homosexuellen Thema verliehen. Die Berliner Filmfestspiele sind das einzige Festival dieser Größenordnung, auf dem ein offizieller Homopreis vergeben wird Von Nadine Lange
Elin hat sich mit Agnes auf der Schultoilette verbarrikadiert. Draußen lärmt ein Mob Jugendlicher. Niemand weiß genau, wer mit Elin hinter der Tür steckt. Doch man ahnt Ungeheuerliches. Die jungen Frauen haben nur eine Wahl: Zueinander stehen. So versichern sie sich zuerst gegenseitig ihrer Liebe und treten dann absolut cool heraus. „Das ist meine neue Freundin“, verkündet Elin und nimmt die Hand von Agnes.
Dieses fulminante Coming Out ist der Höhepunkt des Films „Raus aus Åmål“ des schwedischen Regisseurs Lukas Moodysson. Premiere hatte das tragikomische Teeniedrama letztes Jahr auf der Berlinale, wo es begeistert aufgenommen wurde. Zur Belohnung gab’s einen Teddy für den besten Spielfilm mit homosexuellem Sujet. Viel Lob von Kritik und Publikum folgten.
Die Idee, dem Goldenen Bären einen kleinen schwulen Bruder an die Seite zu stellen, hatten Mitte der Achtzigerjahre Manfred Salzgeber und Wieland Speck. Salzgeber war von 1980 bis zu seinem Tod 1994 für die Panoramareihe der Berlinale (damals noch „Infoschau“) verantwortlich. Speck stellte ab 1982 als sein Assistent die Kurzfilme zusammen und wurde später sein Nachfolger. Die zwei brachten immer wieder Filme mit schwulem, seltener lesbischem Bezug ins Berlinaleprogramm. Filme und Videos, die keinen Platz im Festival fanden, zeigten Salzgeber und Speck in ihrer Filmreihe.
Da es zu dieser Zeit kaum Homofilmfestivals gab, entwickelte sich die Berlinale langsam zu einem Treffpunkt für schwul-lesbische FilmemacherInnen, VerleiherInnen, JournalistInnen und Cineasten aus aller Welt. Am letzten Berlinaleabend kamen sie im Prinz-Eisenherz-Buchladen zusammen und diskutierten über die gay movies. „Bei einem dieser Treffen habe ich einfach Zettel verteilt, auf denen die Filmnamen standen. Dahinter haben die Leute dann Striche gemacht“, erinnert sich Speck. Das war 1987, und die meisten Striche bekam der spanische Regisseur und Drehbuchautor Pedro Almodóvar für „Das Gesetz der Begierde“. Mit diesem recht biografischen Film über einen schwulen Regisseur (mit Antonio Banderas als eifersüchtigem Lover) wurde Almodóvar plötzlich international bekannt. Sogar seine frühen Filme wurden ausgegraben. Gus van Sant, der ebenfalls 1987 noch relativ unbekannt war, erhielt den Teddy für den besten Kurzfilm.
Der Name Teddy kann doppelt gedeutet werden: Zum einen zeigt er die Verwandtschaft mit dem Ersten Preis der Berlinale, dem Goldenen Bären. Zum anderen signalisiert er die Ausrichtung der Filme, denn als Teddys bezeichnen sich auch bärig aussehende Schwule (mit Vollbart und Lederklamotten). Als Erkennungszeichen trugen sie früher gern einen kleinen Teddybären in der Gesäßtasche. Da hätte auch der erste Berlinale-Teddy hineingepasst: Er war etwa zehn Zentimeter groß und aus Plüsch. Inzwischen ginge das nicht mehr, denn der kleine Bär ist gewachsen und schwerer geworden: Seit 1996 wird ein etwa zwölf Zentimeter hoher Bronze-Teddy verliehen, der auf einem Pflasterstein hockt. Gesamtgewicht: 2,5 Kilo. Entworfen wurde er von Comiczeichner Ralf König. Gutmütig und lieb schaut dieser glänzende Bär drein – als wäre er noch ganz verzückt von einer Liebesszene.
Dass zwei Menschen gleichen Geschlechts sich auf der Kinoleinwand lieben und begehren, war zu Beginn der Teddyära noch eine Seltenheit. In einer visuell ausgerichteten Gesellschaft hatten Schwule und Lesben nur wenige Bilder, die ihre Lebens- und Liebesweise zeigten. Der Teddy sollte den wenigen Filmen, die es gab, zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen. Besonders wichtig war Salzgeber und Speck, auch Publikum und Medien außerhalb der Homoszene zu erreichen. Dieser Durchbruch gelang 1992, als der Teddy auf der offiziellen Preisliste der Berlinale erschien. Es folgten großer Pressetrubel und immer erfolgreichere Teddygewinner wie „Edward II“, „Erdbeer und Schokolade“ oder „Der Priester“. Die Preisverleihung wurde jedes Jahr größer und spektakulärer. Inzwischen ist sie eine der beliebtesten Berlinaleveranstaltungen.
Filme von und über Lesben stehen seit einigen Jahren vermehrt auf dem Berlinale-Spielplan. Besonders stark vertreten waren sie im letzten Jahr, als Max Färberböcks „Aimée & Jaguar“ die Festspiele eröffnete. Maria Schrader und Juliane Schröder haben für ihre Darstellung der unmöglichen Liebe zwischen einer Jüdin und einer Mutterkreuzträgerin im Berlin der Nazizeit bereits drei wichtige deutsche Peise gewonnen. In den USA war der Film nominiert für einen Golden Globe in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ – doch den holte sich Almodóvars Transen- und Starkefrauendrama „Alles über meine Mutter“. Schaut man auf die Golden Globes, die als Wetterfähnchen für die Oscars gelten, scheint es gut um das queer cinema zu stehen: „American Beauty“, in dem ein schwules Pärchen die dynamischen Nachbarn verkörpert, konnte drei Globes erringen, und Hilary Swank wurde für ihre Hauptrolle als Transsexuelle in „Boys don’t cry“ ausgezeichnet. Braucht man da noch einen Teddy? Wieland Speck, der selbst schwule Filme gemacht hat, sieht weiterhin Bedarf: „Man kann ihn erst abschaffen, wenn wir im Kino den gleichen Prozentsatz von Schwulen und Lesben haben wie in der Bevölkerung.“
Dass derzeit sogar in Hollywoodstreifen Homocharaktere zu sehen sind, verstellt den Blick auf die weniger schillernden Seiten des Genres. So haben Filme mit schwulen und lesbischen Themen noch immer ein vergleichsweise niedriges Budget. „Außerdem gibt es kaum RegisseurInnen, die Karriere auf diesem Gebiet machen. Rosa von Praunheim oder Monika Treut sind Ausnahmen“, sagt Speck. Weil HomofilmerInnen kaum von ihrer Arbeit leben können, ist Unterstützung immer noch nötig. Das Teddypreisgeld – zusammengetragen von der Berliner Szene – beträgt in diesem Jahr zehntausend Mark in der Sparte Spielfilm. Der beste Kurzfilm erhält fünftausend Mark; für Dokumentar- und Essayfilm sind siebentausend Mark ausgesetzt. Weil das für die Finanzierung eines neues Werkes zu wenig ist, bemüht sich der „Teddy e. V.“, Sponsoren für einen höher dotierten Förderpreis zu finden. Das Ziel: vierzigtausend Mark für Untertitelung, Presseheft und Kopien. So ausgestattet, hat ein Film bessere Chancen, sich einen Platz auf dem Markt zu erobern.
Ins Rennen um den Teddy gehen in diesem Jahr elf Spielfilme. Außerdem sind sechs Dokumentationen und über zwanzig Kurzfilme mit Homobezug zu sehen. Die Frauenliebe ist mit nur einem Spielfilm deutlich unterrepräsentiert – müssen die FilmerInnen nach dem großen Lesbenauftrieb des vergangenen Jahres erst wieder Inspiration tanken? Der Regisseurin Nisha Ganatras ist immerhin etwas Neues eingefallen: In ihrer Komödie „Chutney Popcorn“ trägt eine lesbische Frau für ihre Schwester ein Kind aus. Stark vertreten sind deutsche Schwulenfilme, von denen zwei („Chill Out“ und „Zurück auf Los“) im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg spielen. Auffällig sind die vielen Dreiecksgeschichten in der Teddykonkurrenz, die auch Heteros mit einbeziehen. „Es ist aber keine dabei, die auch funktioniert“, sagt Speck.
In eine vollkommen fremde Welt führt „Burlesk King“ von Mel Chionglo, der sich des philippinischen Genres des „Macho-Dancer-Films“ bedient. Harry kommt nach Manila, um seinen verhassten Vater zu suchen, der ihn einst zur Prostitution zwang. Der junge Mann tanzt für Schwule und baut sich eine Ersatzfamilie auf. Doch dann merkt er, dass er seinem Vater immer ähnlicher wird. Hart geht es auch in der Dokumentation „Paragraf 175“ zu, die die Schwulenverfolgung während des NS-Zeit thematisiert. Diese filmische Aufarbeitung kommt sehr spät und nicht aus Deutschland – sie stammt von den Amerikanern Rob Epstein und Jeffrey Friedman.
Wer einen Teddy bekommt, entscheidet eine neunköpfige Jury, die besetzt ist mit LeiterInnen von Homo- und Transgenderfilmfesten. In diesem Jahr kommen die JurorInnen unter anderem aus Mexico, Slowenien, Belgien und den USA. Wenn sie gewählt haben, werden Marianne Sägebrecht und Ralph Morgenstern im Haus der Kulturen der Welt die Teddys verleihen – und Judy Winter gibt dazu die „Marlene“.
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