: Fünf Stunden Gaumenschmaus
■ Strengste Rituale: Frack und Sitzordnung, Pinkel und Reden beim Schaffermahl
Die Sitzordnung beim Schaffermahl ist heißbegehrt: Kurz vor Toreschluss in der oberen Rathaushalle herrscht dichtes Gedränge um die 280 Einträge. Alle Gäste stecken traditionell im schwarzen Frack. Frauen sind beim Bremer „Brudermahl“ dagegen noch nicht in Sicht.
Zur gleichen Zeit haben die Köche und Köchinnen im Rathaus schon Stunden über dem Menue gebrütet. „Gestern sechs Stunden Gemüse geputzt, seit Acht Uhr heute früh gekocht“, berichtet einer. Die Speisekarte ist allerdings praktisch die gleiche wie einige hundert Jahre zuvor auch schon: Hühnersuppe, Stockfisch, Braunkohl mit Pinkel, Kalbsbraten, Rigaer Butt und allerlei kleine Köstlichkeiten.
Kapitän Wilhelm Müller sitzt diesmal ganz unten, beim zweiten Schaffer. Ein „erhebenes Gefühl“, sei es, hierfür eine Einladung zu kriegen. Kapitän Hans-Joachim Hustedt dagegen findet seinen Namen ganz oben auf der Liste, gleich neben dem Norwergischen Botschafter Morten Wetland und zwei Plätze neben Telecom-Chef Ron Sommer. Seit 20 Jahren schon ist Hustedt beim Schaffermahl dabei. Heute gehört er zu den Ältesten des Haus Seefahrt und sitzt damit am Ehrentisch, wo Lennart Meri, Präsident Estlands, in diesem Jahr den Vorsitz hat.
In drei langen Tischreihen sind die Festlichkeiten in der oberen Rathaushalle aufgebaut. Kellner im Livree flitzen noch schnell mit den letzten Senftöpfen rein. Dann ist Schluss. Punkt 14.30 Uhr. Die goldene Glocke klingelt.
Schlagartig still wird es jetzt im Vorraum: 280 Gespräche werden abrupt beendet. „Schaffen, schaffen unnen un boven – unnen un boven Schaffen“, ruft traditionsgemäß der Vorsteher der Stiftung Haus Seefahrt und bittet damit zu Tisch in die Obere Rathaushalle.
Zeitgleich schwirren gut drei Dutzend Kellner rein, die im Vorraum alles für den schnellen Service aufbauen: Klapptische, Plastiktischdecken, Blechtöpfe – die ganze Etikette dagegen wurde in den Festsaal verbannt.
Zuerst kommt die Suppe, die hektisch in die Schüsseln gefüllt wird. Noch wurden die Kellner nicht gerufen – die ersten setzten sich mit Supperterrine im Schoß noch einmal hin. Dann wird die Hühnersuppe verlangt, die Presse aus dem Festsaal gescheucht, und die Kellner schwirren los. Ein paar Minuten Ruhe. Die ersten Kellner kommen schon zurück geflitzt. Schliddern übers Parkett: Nachschlag – das muss schnell gehen.
Schaffermahlzeit heißt fünf Stunden Dauereinsatz für die Kellner. Einer ist schon 20 Jahre dabei. Er zuckt nur mit den Schultern über den Festakt. „Nix besonderes.“ Die Arbeit beim Schaffermahl sei vor allem eins: Angenehm – und zwar wegen der gediegenen Atmosphäre. Nach jedem Gang bliebe da Zeit für ein Zigarettenpäuschen. pipe
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