: Auf dem Flokati
Vom Kammerspiel zur Komödie und zurück: „Gouttes d’eau“ im Wettbewerb
Nur wenige Male verlässt die Kamera die Wohnung. Der Flokati im Schlafzimmer, die Natursteinwand im Wohnzimmer, der braun gemusterte Vorhang vor dem Schlafzimmerfenster: Sie signalisieren nicht nur, dass wir uns mitten in den 70er-Jahren befinden, sie stecken auch den fast klaustrophobischen Rahmen ab, in dem sich die vier Protagonisten von „Gouttes d’eau sur pierres brulantes“ bewegen. Wenn die Kamera doch einmal außerhalb dieser Wände Stellung bezieht, so tut sie dies nur, um durch die Fenster hindurch wieder in die Wohnung hineinzuschauen.
Der französische Regisseur Francois Ozon („Sitcom“) hat Rainer Werner Fassbinders Stück „Tropfen auf heiße Steine“ verfilmt. Herausgekommen ist dabei ein Kammerspiel, in dem es – erwartungsgemäß – um Abhängigkeit, um Macht und um Ohnmacht geht. „Wer liebt, ist an den Sarg genagelt“, heißt es in Fassbinders „In einem Jahr mit 13 Monden“. Als Motto taugt das gut für „Gouttes d’eau sur pierres brulantes“.
Franz (Malik Zidi) ist jung und naiv, als er bei dem 50-jährigen Geschäftsmann Leo (Bernard Giraudeau) einzieht. Schon die Verführung trägt Züge eines Verhörs. Rasch mutiert die Sprache der Liebe zur Sprache der Beziehungskiste, halten Rituale Einzug. Franz macht den Abwasch, sitzt auf einem Sessel, liest Konsaliks „Liebe ist stärker als der Tod“, Leo sucht Streit. Später tauchen die ehemaligen Freundinnen der beiden auf, es kommt zu neuen Paarungen und – vor allem – zu neuen Arrangements der Figuren in der Wohnung.
Spätestens jetzt steigt Ozon aus der Kammerspiel-Dramaturgie aus. Mehr als um den Plot geht es ihm um die Komposition von Gesichtern auf dem Flokati und darum, wie sich die Linien der Körper den Linien der Möbel anschmiegen. Die Wohnung verändert kaum merklich ihre Form, die Wände scheinen sich langsam zu verschieben.
Ähnlich verwandelt sich auch „Gouttes d’eau“ – vom Kammerspiel hin zur exaltierten Komödie und zurück: Eben tanzen die Protagonisten noch eine Samba-Kür, und dann ist das mit dem Sarg auch schon sehr wörtlich zu verstehen.
Cristina Nord
„Gouttes d’eau sur pierres brulantes“. Regie: François Ozon. Mit Bernard Giraudeau, Anna Thomson, Frankreich, 90 Min. Heute, 20 Uhr, International, 23.45 Uhr, Royal Palast
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