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„Es war heikel“

■ Sensible Quellen: Rob Epstein und Jeffrey Friedmanüber ihre Dokumentation „Paragraph 175“ (Panorama)

taz: Wie haben Sie die Menschen kennen gelernt, die Sie in „Paragraph 175“ porträtieren?

Rob Epstein: Klaus Müller, der Historiker, der für das US Holocaust Museum in Washington arbeitet und der die Idee zu dem Film hatte, stellte erste Kontakte zu Überlebenden her. Wir begannen mit seinen Forschungsergebnissen und seinen Kontakten, und während wir an dem Projekt arbeiteten, lernten wir einige weitere Überlebende kennen. Außerdem entschieden wir recht bald, dass wir nicht nur von Männern berichten wollten, die von den Nazis verfolgt wurden, sondern dass wir insgesamt mehr über Homosexualität zu dieser Zeit bringen wollten. Das schloss zum Beispiel auch lesbische Frauen – es gibt eine lesbische Jüdin in dem Film – und Widerstandskämpfer ein.

Jeffrey Friedman: Die Hälfte der Kontakte besorgte Klaus, die andere Hälfte wir.

Da die Überlebenden sehr alt sind, läuft die Zeit ab, in denen man Filme wie „Paragraph 175“ drehen kann. Spielte es für Sie eine Rolle, dass Deutschland derzeit im Begriff ist, sich neu zu definieren, und dass Sie dies mit der Vergangenheit konfrontieren wollen?

Epstein: Als wir zum Drehen nach Berlin kamen, war die ganze Stadt voller Kräne. Wenn man sich eine Zukunft schafft, ist es wichtig, sich der Vergangenheit zu erinnern. Und wie machen wir das? Dadurch, dass Zeugnis abgelegt wird.

Viele derer, die in „Paragraph 175“ Zeugnis ablegen, sind sehr offen, andere nicht. Pierre Seel zum Beispiel fällt das Sprechen, fällt das Erinnern sehr schwer. Wie sind Sie damit umgegangen in den Interviews?

Epstein: Klaus Müller, der die Interviews führte, war sehr vorsichtig. Keiner der Überlebenden musste seine Geschichte mehr als einmal erzählen. Jeffrey und ich haben zwar eine ganze Menge Erfahrung mit Interviews, aber dies war dann doch eine ziemlich außergewöhnliche Situation. Mit jedem Gesprächspartner war es anders. Für Pierre Seel war es sehr schmerzhaft, er war sehr verletzlich und verlangte viel Geduld, die Klaus aufbrachte.

Friedman: Für Pierre steckte Klaus sofort in der Rolle des Deutschen, des Verfolgers. Er wurde ausfallend und persönlich. Er wollte seine Geschichte erzählen, unbedingt, aber er wusste nicht, wie. Er war im Konflikt mit sich selbst, und das kam in den Wutausbrüchen an die Oberfläche. Aber wir haben niemanden gedrängt. Die Leute waren da, weil sie mit uns reden wollten, und wenn sie über etwas nicht sprechen konnten, haben wir mit etwas anderem weitergemacht.

Der Paragraf 175 bestand bis weit in die Sechzigerjahre hinein. Warum haben Sie in Ihrem Film die Zäsur 1945 gesetzt?

Epstein: Das war der historische Rahmen, den abzudecken wir uns vorgenommen hatten.

Friedman: Teils war es auch eine dramaturgische Entscheidung. Hätten wir den gleichen Rhythmus bis in die 60er-Jahre durchgehalten, hätte das Ganze als Film nicht funktioniert. Und wir hatten auch nur Geld für einen Film. Außerdem war der Nationalsozialismus der Kern der Geschichte. Was danach kommt, versuchen wir auf eine sehr ökonomische Weise zu zeigen.

War es schwierig, an das historische Film- und Fotomaterial heranzukommen?

Epstein: In den Archiven tauchen Darstellungen homosexuellen Lebens nicht auf. Wir konnten also nicht einfach ins Archiv gehen und nachschlagen. Stattdessen mussten wir private Quellen anzapfen. Das Schwule Museum in Berlin hat uns sehr geholfen, auch das Bundesarchiv.

Friedman: Eine der größten Ironien des Projekts ist, dass wir nicht nur keine deutsche Fördergelder bekamen, sondern außerdem Geld an die deutsche Regierung abführen mussten, um die Nazipropagandafotos verwenden zu dürfen. Vom Nationalarchiv in Washington kann man diese Bilder umsonst bekommen und sie überall auf der Welt nutzen. Nur wenn man die Bilder in Deutschland zeigt, verdient die deutsche Regierung daran, was ungeheuerlich ist.

Sie verwenden recht viel Propagandamaterial, dessen ursprüngliche Intention nicht leicht zu brechen ist. Wie stellte sich dieses Problem bei der Auswahl und Bearbeitung für Sie dar?

Friedman: Es gab Einstellungen, die wir anfangs im Film hatten und dann wieder herausnahmen, weil wir meinten, dass sie nicht die Zeit widerspiegelten, sondern das Bild, mit dem die Nazis sich selbst darstellen wollten. Damit umzugehen ist sehr schwierig. Es gibt zum Beispiel Rohfilme von Leni Riefenstahl. Das ist sehr heikel. Darin gibt es Momente, die gar nicht inszeniert wirken, und dann wieder Momente, die ganz offenkundig so choreografiert waren, dass sie eine mächtige NSDAP mit vielen, vielen Unterstützern zeigen. Wir gaben unser Bestes, um Distanz herzustellen.

Interview: Cristina Nord

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