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Die GEW auf der Suche nach sich selbst

Offiziell stritt die Bildungsgewerkschaft GEW über Bildung und Beruf von Lehrern. Geschockt von neuen Jobprognosen, begann eine andere Debatte: Die um das Bild der GEW

Hamburg (taz) – „Ich hätte mit allem gerechnet, aber damit nicht!“, entfährt es Ursula Herdt beinahe fassungslos. Der Schreck steht der Funktionärin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ins Gesicht geschrieben. Kommt aus Frankfurt zum wegweisenden Kongress ihrer GEW angereist – und schon stürzt die schöne Fassade wortreicher Erklärungen ein. Lehrer nämlich beginnen erst mit über 30 Jahren ihren Beruf auszuüben. Das ist auch Ursula Herdt zu spät.

Kann das wirklich sein, fragt sie ratlos. Ist es nicht so, berichtet sie von Berufsschulen, dass die neuen Lehrer zu jung sind? Nein, widersprechen die Bildungsökonomen Gabriele Bellenberg und Klaus Klemm von der Uni Essen, die Zahlen sprechen eine ganz andere Sprache. Eine, die alle Fragen ein wenig nebensächlich erscheinen lässt, die sich die GEW in Hamburg gestellt hat über die Professionaliät der Lehrer und die Güte der Ausbildung. Um den spektakulärsten Vergleich zu nehmen: In Japan sind die Mathe-Pauker im Durchschnitt in den 30er-Jahren, in den USA in den 40ern. Und hier zu Lande – in den 50ern.

Nicht nur die Lehrer sind zu alt, heißt aber die Botschaft der Essener Bildungsforscher. Auch die Anfänger sind es. In die Hauptschulen gehen „Jung“-Lehrer im Bundesdurchschnitt mit 29,4 Jahren, in Realschulen und Gymnasien mit etwa 32 Jahren. Und weil mancher GEWler ausgreifende Begründungen für das späte Eintrittsalter anführt, liefert Klaus Klemm gleich einen Kommentar zu den Zahlen: „Wenn Lehrer jenseits der 30 in den Job gehen, dann ist das verdammt spät und hat negative Auswirkungen auf die Pädagogik in der Klasse.“

Dabei sind Einstellungschancen für Lehrer im Westen in den kommenden zehn Jahren so gut wie selten. Auf jeden Bewerber warten rechnerisch 0,8 Stellen. Es gab Zeiten, da prügelten sich dutzende, ja hunderte Junglehrer um die Jobs. Jetzt ist es anders: In der Primarstufe besteht eine Chance von 92 Prozent, eine Stelle zu bekommen, an den Sonderschulen steht es fifty-fifty, und sogar bei den Gymnasien bewerben sich – statistisch gesehen – nur zwei Lehrer um eine Stelle. Der Westarbeitsmarkt für Lehrer wird sogar fähig sein, einen Anteil der alten, unversorgten Bewerber aufzunehmen. Und auch ein Teil der im Osten praktisch ohne Berufsaussichten studierenden Lehrer werden zwischen Kiel, Düsseldorf und Stuttgart unterkommen (siehe taz vom 14. Februar).

Gerade weil aber die prognostizierten Einstellungszahlen so gut waren, reagierte die Gewerkschaftsspitze alarmiert. Eine Verjüngung des veralterten Lehrkörpers ist nämlich trotz der famosen Nachrückerzahlen nicht zu erhoffen. Um den Altersschnitt von 48 Jahren im Westen zu drücken, reichen auch die vielen Junglehrer nicht, die in die Schulen kommen werden. In der Spitze der Gewerkschaft weiß man das. Bloß wie es der Basis sagen?

„Die Vergreisung ist nicht zu stoppen.“ So entschieden resümierte Gerd Köhler aus dem geschäftsführenden Vorstand der GEW diesen Teil des Hamburger Kongresses. Auf den ersten Blick meinte er das als Kritik an den Kultusministern, die zu wenig Lehrer einstellen würden. Tatsächlich zielte die Wortwahl auf die eigene Klientel: Greise Kollegien, das lässt sich kein Lehrer vorwerfen, schon gar kein GEWler.

Aber die Gewerkschaftsspitze ist offenbar entschlossen, die eigene Klientel härter anzufassen. „Wir brauchen LehrerInnen, die nicht nur klagen, wie furchtbar das ist“, flehte Köhler manchen Kollegen am Rande beinahe flehentlich an. Mit anderen Worten: Es geht bei der GEW langsam nicht mehr nur um politisch korrekte Inhalte oder um die Kritik an der Politik – das Selbstbild steht zur Debatte, die Art, die GEW zu verkaufen.

Köhler war nicht der Einzige, der so dachte in Hamburg. Als ihre Kolleginnen über Klemms widersprüchliche Jobprognosen zu lamentieren begannen, griffen zwei Gewerkschafter das Gejammer an: „Wir müssen aufpassen, welches Image wir als GEW nach draußen tragen“, warnte einer, der „aus dem Marketing kommt“. „Wir müssen auch mal positiv denken“, sprang ihm eine bei – aus dem Osten, die GEW-Chefin von Mecklenburg-Vorpommern, Heidrun Breyer. Christian Füller

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