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EU: Haider ist längst dabei – ganz offiziell

Die EU-Boykottaktionen gegen Österreichs neue FPÖ-Minister sind scheinheilig. Seit Mai 1999 sitzt ihr gefürchteter Führer Jörg Haider im EU-Regionalausschuss, und nie hat jemand protestiert. Erst jetzt gibt’s Ärger ■ Aus Brüssel Daniela Weingärtner

Kommt er oder kommt er nicht? Die Frage, ob Jörg Haider an der heutigen Plenartagung des Ausschusses der Regionen (AdR) der EU teilnehmen wird, beschäftigt die belgische Presse seit Wochen. Der Bürgermeister von Etterbeek hat ihn brieflich aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Andernfalls würden in diesem Stadtteil, wo der Ausschuss seinen Sitz hat, Versammlungen von mehr als drei Personen aufgelöst.

Gestern hat er tatsächlich abgesagt. Haider-Kenner im österreichischen Verbindungsbüro in Brüssel glauben aber nicht, dass die Drohung des Bezirksbürgermeisters den Kärntner Landeshauptmann geschreckt haben könnte. Im Gegenteil: Die Aussicht auf ein Medienspektakel inclusive Polizeiaufgebot hätte die Brüssel-Reise für ihn eher attraktiv machen müssen. Dringenden Terminen in Wien, so wird vermutet, hat er den Auftritt geopfert.

Seit letztem Sommer tritt der rechte Sprücheklopfer in Brüssel auf, ohne dass davon viel Notiz genommen wird. Am 31. Mai 1999 war Jörg Haiders Kandidatur für einen Sitz im Ausschuss der Regionen dem EU-Außenministerrat lediglich einen „A-Punkt“ auf der Tagesordnung wert. In der Technokratensprache der Sitzungsregisseure sind damit Themen gemeint, über die man sich im Vorfeld schon geeinigt hat: A für Abnicken.

Zuvor hatte der österreichische Ministerrat einschließlich des SPÖ-Kanzlers Viktor Klima den frisch gebackenen FPÖ-Landeshauptmann Haider einstimmig für das Brüsseler Gremium nominiert. Sein sozialdemokratischer Vorgänger war nach verlorener Kärntenwahl zurückgetreten – reine Routine, wie österreichische Diplomaten versichern.

Der ganze Vorgang wirbelte bislang wohl deshalb so wenig Staub auf, weil der Regionalausschuss nur beratende Funktion hat. 220 Delegierte aus Kommunen, Regionen und Landtagen sind darin vertreten. Sie treffen sich fünfmal im Jahr, um zu Themen, die für die EU-Regionen besonders wichtig sind, Resolutionen zu verabschieden und Entschließungsanträge abzustimmen. Etwa zeitgleich mit Haiders Aufteten auf europäischem Parkett ist aber der Amsterdamer Vertrag in Kraft getreten, der die Rolle des Regionalausschusses stärkt. Er hat nun ein „Selbstbefassungsrecht“, kann also auch Themen aufgreifen, die nicht in regionale Zuständigkeit fallen. Sein Generalsekretär wird nicht mehr vom Ministerrat bestellt, sondern vom Präsidium gewählt. Rat und Kommission können eine Stellungnahme des AdR ebenso erbitten wie das Europäische Parlament.

In seiner Plenarsitzung vom 17. und 18. November 1999 debattierte der Ausschuss einen Entschließungsantrag zur EU-Erweiterung. Er kam dringlich auf die Tagesordnung, weil der AdR unbedingt vor dem EU-Gipfel in Helsinki eine abgestimmte Position vorlegen wollte. Das Protokoll vermerkt 14 Änderungsanträge zum ursprünglichen Entwurf – drei stammen vom bayrischen Europaminister Reinhold Bocklet. Auf der Liste der Antragsunterstützer, unter anderen Namen: Jörg Haider.

Sitzungsteilnehmer erinnern sich, dass Haider kurz zum Thema gesprochen habe. Im Protokoll der Sitzung ist sein Redebeitrag aber nicht erwähnt. Im Vorfeld habe die österreichische Delegation die anderen Delegationen angerufen und gebeten, sich von Haiders Äußerungen nicht provozieren zu lassen. Tatsächlich sei er aber in seinen Aussagen neutral und allgemein geblieben.

Mehrfach hat Jörg Haider in der Öffentlichkeit sein Ja zu Erweiterungsverhandlungen betont – unter der Bedingung, dass die Länder vorher EU-Standard erreicht hätten. Diese Haltung ist mit dem Zeitplan der EU-Kommission unvereinbar.

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