Kleist im komischen Affentempo

■ „Der Zerbrochne Krug“ in der ziemlich flotten Inszenierung Wolfgang Hofmanns feierte am Bremerhavener Stadttheater eine eher durchwachsene Premiere

Was für eine Szenerie! In der nüchternen Bootshalle des Bremerhavener City Port wird Gericht gehalten – der Prozess, den Heinrich von Kleist dem Dorfrichter Adam macht, findet auf einem quer in den Raum gebauten Podium statt. Das Publikum sieht von zwei Seiten auf die hölzerne weißgraue Spielfläche: Es sieht und hört mit zunehmendem Erstaunen, dass der Mensch, der „alte Adam“, vor 200 Jahren kaum anders war als heute. Und darüber darf glücklicherweise gelacht werden. Denn Kleist entlarvt den scheinheiligen Amtsinhaber („Ich weiß von nichts“) in einem „Lustspiel“, und Regisseur Wolfgang Hofmann, sonst eher ein Meister der Längen, drückt aufs Tempo und forciert das Komische so sehr, dass darunter das Tragische verloren geht.

Kay Krause ist der Richter, und man wünscht ihm 20 oder 30 Jahre Lebenserfahrung dazu, damit er diesem Urviech an Verschlagenheit, anbiedernder Gemütlichkeit und zappelnder Hilflosigkeit noch schärfere Konturen geben kann als es ihm ohnehin gelingt. Denn diese Glanzrolle für große Mimen ist so verteufelt schwierig wie das gesamte Spiel, das vom Regisseur verlangt, die ernsten Untertöne in pure Leichtigkeit zu verwandeln.

Hofmann ist das Kunststück gelungen, den Prozess um den zerbrochnen Krug in wenig mehr als zwei Stunden äußerst kurzweilig aufzurollen. Er lässt Kleists raffinierten Sprach-Witz unangetastet und verzichtet darauf, das Stück gewaltsam und nahe liegend ins Aktuelle zu verbiegen. Mit einer Ausnahme: Als sinnbildlich gewordener pädagogischer Zeigefinger hämmert und sägt ein rußgeschwärzter Handwerker, ein langhaariger Anarcho-Typ, im Untergrund unter dem Bretterboden der Bühne und steigt gelegentlich durch ein Loch nach oben, damit wir nicht vergessen, hier wird ein System in Frage gestellt.

Das ist so penetrant wie unnötig, denn das Unterhöhlen ihrer eigenen hehren Ideale besorgen die Herren auf der Bühne selber und besser. Diese Bühne (Ausstattung: Lars Peter) funktioniert phantastisch: An der Seitenwand aus Brettern – durch die eingangs sehr malerisch das Außenlicht fällt – steht ein hoher Ofen mit Bänken drumherum, Aktenordner liegen bergeweise ungeordnet am Boden. Darunter kriecht am frühen Morgen Dorfrichter Adam hervor, am kahlen breiten Schädel zwei deutliche Wunden, den schweren Klumpfuß bandagiert. Kaum ist sein Schreiber Licht in den Raum getreten, sagt Adam den entscheidenden Satz: „Jeder trägt den Stein zum Anstoß in sich selbst“.

Weil er von sich selber ablenken will, tischt er Licht eine Lügengeschichte auf. Und der lässt schon hier anklingen, dass er sich von Adams merkwürdigen Fall-Erklärungen nicht hinters Licht führen lässt. Aber noch darf Adam am Tisch des Richters, am anderen, schmaleren Ende der Bühne, Platz nehmen. Er muss seine Qualifikation vor dem überraschend angereis-ten Gerichtsrat Walter unter Beweis stellen und ausgerechnet an diesem Tag erscheint Frau Marthe (sehr lebendig: Christel Leuner) mit dem Krug, der nachts im Zimmer ihrer Tochter Eve zu Bruch gegangen ist.

Hier gelingen Hofmann einige der schönsten Momente, wenn Kay Krause – als kahlköpfiger Richter – sich jovial nach hinten zum Gerichtsrat zurücklehnt, der ihm buchstäblich im Nacken sitzt und sein Einverständnis zu den Besonderheiten der dörflichen Rechtspflege geben soll. Die bäuerlich-derben Figuren und ihre saftige Sprache, die allmähliche Aufhellung des Falls, die wachsende Zahl von Indizien, die auf den Richter weisen, bis er nicht mehr leugnen, sondern nur noch flüchten kann – es ist diese urtheatralische Kraft des Stücks, der Hofmann vertraut und an der er doch zu zweifeln scheint. Wozu sonst der im Untergebälk sägende Anarchist und auch die beiden – zwillingshaft auftretenden – Mägde im Dirndl (Nanna Birgitta Model und Katharina Wessels), die stets unverfroren, kokett, höhnisch lachend und mit frechen Kommentaren auf den Lippen über die Bühne laufen, als wäre sie ein Laufsteg.

Auch ohne Symbolfiguren wird klar, dass in dieser Inszenierung nicht nur dem Dorfrichter der Prozess gemacht wird, sondern dass auch den anderen am Gericht Beteiligten nicht zu trauen ist. Der Schreiber Licht fällt dem Richter in den Rücken, sobald es der Karriere dient, Guido Fuchs spielt souverän den hinterlistigen pedantischen Bürokraten, der immer mit den Stärkeren lacht. Berndt Stichler als Gerichtsrat Walter ist weniger der selbstlose „Walter“ des höheren Rechts, sondern mehr ein selbstgefälliger Geck, der vor allem an seinen sauberen Händen interessiert ist. Triumphierend grinsen Walter und Licht sich an, als die arme Eve (Heike Eulitz) endlich zugibt, dass sie Adam nachts in ihre Kammer gelassen hat, weil sie die Einberufung ihres Ruprecht (Dietmar Horcicka) verhindern wollte, denn die Landmiliz werde doch nach Ostindien geschickt und damit in den sicheren Tod. Das verneint Walter – „bei meiner Ehre“, und damit geht das böse Spiel von Lug und Trug weiter und weit über den Fall des Dorfrichters hinaus.

Indem Hofmann auf diese Weiterungen den Hauptakzent setzt, verliert er eine andere Seite aus dem Blick: Die Jungfer Eve ist hier eine derbe, jederzeit trotzig-empörte, sehr erwachsene Frau. Heike Eulitz gibt ihr keine anderen Seiten, sie ist nicht das „twatsche“, blutjunge Kind, das „sich noch schämt, wenns einen Bart von weitem sieht“. Ihre Verzweiflung geht ebenso wenig unter die Haut wie die Not des schließlich in die Enge getriebenen Täters. Dieser „Zerbrochne Krug“ kennt keine tragischen Züge mehr, er ist ein Menetekel der aktuellen Lage. Und auf die kann nicht mit Tragik, sondern nur mit Komik reagiert werden. Dazu trägt eine in ihrer Geschlossenheit gelungene Ensembleleistung bei. Hans Happel

Weitere Aufführungen: heute um 20 Uhr und 27.2. um 15 Uhr. Karten und Infos unter 0471/49 001