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Amoklauf für Äpfel mit Stiel

Die MimaMärkte sind überall: „Heimkehr der Jäger“ (Forum) von Michael Kreihsl ist ein romantisches Fanal gegen alltäglichen Horror

Sich über den Werteverlust im fortschreitend globalisierten Alltag aufzuregen gilt derzeit nicht gerade als schick. In Michael Kreihsl „Heimkehr der Jäger“ geht es um einen (Ulrich Tukur), der an den vermeintlich kleinen Dingen verzweifelt – und den Kampf dagegen aufnimmt. Scheißwerbeplakate versprechen Gewinnerlächeln, immer wenn er aus dem Fenster schaut – also sägt er eines Nachts die Werbetafel um. Miese Busfahrer lassen sinnlos ihren Auspuff qualmen. Wenn Franz sie höflich auffordert, den Motor auszustellen, drücken sie wortlos den Knopf für die Schiebetür. Es qualmt weiter. Auch dagegen wird Franz vorgehen.

Dieser Franz, ein Kopist im Wiener Kunsthistorischen Museum, ist ein – tja, was eigentlich, ein Romantiker? Jedenfalls einer, der die Äpfel liebt, die noch Blätter am Stiel haben und die jeder für sich anders aussehen als alle anderen. Dann schließt der kleine Obstladen auf dem Wiener Markt. Eines Tages kommt Franz hin, und es hängt ein Pappzettel aus, auf dem sich der Besitzer für die jahrelange Treue bedankt. Franz gerät zum ersten Mal in die Fänge der automatischen Schiebtür des MiMa-Marktes und erlebt wie ein Kind den Horror des Konsumschrotts, der alle Differenz, ja Menschlichkeit einebnet und einem fahle Plastikschinken als Nahrung verkauft. Franz verliebt sich in die superlockige Kassiererin, die naiv aussieht und es natürlich nicht ist.

Wegen Kleinigkeiten kann man in Österreich schon in den verdacht der kriminellen Handlung geraten, sagt Regisseur Kreihsl. Seinen Franz lässt er einen zärtlichen Amoklauf vollführen. Klaut eine alte Flinte und einen schönen Helm und legt sich auf die Lauer vor dem größten geplanten Supermarkt vor den Toren Wiens. Hinter einer Zementsackbarrikade wartet er auf die Arbeiter. Natürlich hat er keine Chance gegen die Schergen des MiMa-Kapitalismus und ihre Waffen. Ein Schaufelbagger fährt Franz fast tot.

Die MiMa-Märkte sind überall. Einen hat Kreihsl gar in einem alten Landkino ausgemacht. Hei, wie so ein Billigsupermarkt brennt! Selten hat man Schöneres gesehen. Oder erinnert sich noch jemand an die Partynacht, damals in Kreuzberg „36“. Nach dem Film fragten einige jüngere Journalisten, warum der Film zur Gewalt aufrufe. „Heimkehr der Jäger“ ist ein romantisches Fanal. Merkwürdig, dass solch ein Film heutzutage schon fast mutig wirkt.

Andreas Becker „Heimkehr der Jäger“. Regie: Michael Kreihsl. Mit Ulrich Tukur, Julia Filomonow, u. a.; heute, 19 Uhr, Babylon

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