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Vertrauen in Kanadier

Norman Jewisons Rührstück „Hurricane“ (Wettbewerb) handelt vom Schicksal des Boxers Rubin Carter ■ Von Kerstin Stolt

„Nichts ist so ärgerlich wie ein politisches Rührstück. Es sei denn, man weint“ – nach diesem Motto hat Norman Jewison alles auf eine Karte gesetzt und die Geschichte des Boxers Rubin „Hurricane“ Carter als Melodrama verfilmt. Das geht natürlich auf Kosten der Fakten, aber die Eckdaten des Films decken sich mit dem, was man auch woanders nachlesen kann: 1967 wurde Rubin Carter des dreifachen Mordes für schuldig befunden; 19 Jahre saß er im Gefängnis. Durch das Engagement von Prominenten wie Bob Dylan sorgte der Fall in den 70ern noch einmal für Aufsehen, geriet aber in Vergessenheit, nachdem das Urteil in der Revision bestätigt worden war.

Erst 1985 erklärte ein Bundesgericht, dass der Schuldspruch auf Falschaussagen und rassistischen Vorurteilen beruhte. Die Lücken, Simplifizierungen und Erfindungen des Films sind nicht ganz so schnell aufzuzählen, und man könnte auch großzügig über sie hinweggehen, wenn der Film nicht einen Mehrwert daraus schlagen würde, eine wahre Geschichte zu sein. Denn der Glaube an eine irgendwie geartete Wahrheit hinter den Bildern erweist sich als Ticket für die emotionale Tour de Force, die einen erwartet. Die Verweise auf eine historische Realität decken eine recht zeitlose Erfahrung: von Einsamkeit und Angst vor menschlicher Nähe.

Dieser Psychologisierung des Geschehens arbeitet auch die stereotype Darstellung zu: Der Rassismus wird z. B. durch einen bösartigen Polizisten symbolisiert, der sein Leben lang gegen Carter intrigiert haben soll (er ist allerdings eine fiktive Figur). Und Denzel Washington ist als Rubin Carter sowieso über alle Zweifel erhaben. Selbst in den wenigen Boxszenen schlägt er zu wie ein Gentleman.

Die Schilderung gesellschaftlicher Ungerechtigkeit kippt endgültig ins Imaginäre ab, als Carter ins Gefängnis kommt. In der Dunkelheit seiner Zelle, besonders im Gespräch mit einigen Doppelgängern, wird der Konflikt ins Innere verschoben, das Gefängnis dient dann nur noch als Bild für abgekehrtes Seelenleben. Denn Carter behauptet seine Freiheit, indem er den Kontakt mit der Außenwelt abbricht und Krishnamurti liest.

Aus diesem Rapunzeldasein erlösen ihn auch nicht die Anwälte, sondern eine Gruppe wackerer Bürgerrechtler, allen voran ihr schwarzer Ziehsohn, der Carters Isolation durch scheue Zuneigung durchbricht. Der aufgeworfene politische Konflikt wird also damit gelöst, dass Carter wieder Vertrauen in die Menschen fasst, zumindest in Kanadier. Mehr als eine vorübergehende Agitation sollte man von „Hurricane“ deshalb nicht erwarten. Als Tränenschleuse funktioniert der Film jedoch ausgezeichnet. Es sei denn, man ärgert sich, wie gesagt.„Hurricane“. Regie: Norman Jewison. Mit Denzel Washington, John Hannah, Deborah Unger, u. a.; USA, 146 Min. Heute, 21.30 Uhr, Berlinale Palast; 18. 2., 20 Uhr, International

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