piwik no script img

„Überall Feinde. Wo sollen wir bloß hin?“

■ Vor einem Jahr erschossen israelische Sicherheitskräfte vier Kurden.Die Mutter eines der Opfer hält die damaligen Proteste dennoch für sinnvoll

Ein Jahr ist es her, dass sie ihre Tochter bei der Protestaktion um die Entführung des PKK-Chefs Öcalan verlor. Auf Beileidsbekundungen von offizieller Seite wartete die Mutter von Sema Alp vergebens. Weder Berliner Politiker noch der Regierende Bürgermeister, noch die Bundesregierung haben ihrer gedacht.

„Darin unterscheidet sich der deutsche Staat nicht vom türkischen“, meint die Frau mit dem weißen Kopftuch. Sie berichtet, welche Schwierigkeiten es bereitet habe, den Sarg mit ihrer Tochter in den türkischen Osten, nach Kurdistan, zu bringen. „Die deutschen Behörden“, sagt sie, „haben mir bis heute nicht die Kleider der Toten zurückgegeben.“

Sema Alp war 18 Jahre alt, als sie am 17. Februar 1999 von Sicherheitsbeamten vor dem israelischen Generalkonsulat in Wilmersdorf erschossen wurde. Mit ihr starben Ahmed Acac (24), Mustafa Kurt (29) und der 26-jährige Sinan Karakus.

Abdullah C. hat überlebt. Der 17-Jährige ist einer derjenigen Kurden, die angeklagt worden sind. Dem Prozess sieht er mit Gelassenheit entgegen. „Was wir damals gemacht haben, war eine friedliche, spontane Aktion“, beteuert er, als wären die kurdischen Demonstranten nicht gewaltsam auf das Grundstück des israelischen Konsulats eingedrungen.

Für Abdullah C. ist Öcalan immer noch der Größte. Obwohl der PKK-Chef im Gefängnis vom einstigen Kampf abschwor. Dem Kampf, für den zahlreiche Kurden, darunter Abdullah C., vor einem Jahr ihren Kopf hingehalten haben. „Ich unterstütze die neue Strategie von Öcalan“, erklärt Abdullah C. Öcalan sei noch immer ein Synonym für den Kampf der Kurden.

Er, die Mutter von Sema Alp sowie die Ehefrau von Mustafa Kurt waren am letzten Dienstag ins Kurdische Kulturzentrum in Kreuzberg gekommen, an dem sich am Abend vor dem 17. Februar 1999 viele Kurden getroffen hatten. Dort wird es am heutigen Donnerstag eine Gedenkfeier geben. Obwohl ihre Tochter gestorben ist, bejaht die Mutter von Sema Alp den Sinn der Protestaktion vor dem israelischen Generalkonsulat. „Solange Öcalan in Haft ist, sind wir alle im Gefängnis. Er ist alles, ist unser Körper.“

Der ehemalige Grünen-Abgeordnete Riza Baran hatte einen Monat nach den tödlichen Schüssen einen offenen Brief an den CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky geschrieben: „Das Leben der Kurdin Sema Alp“, schrieb er, „bestand im Versuch, zu überleben.“ Eindrücklich schildert Baran die Lebensstationen von Sema Alp, von ihrer Kindheit im kurdischen Baglica, der Zerstörung ihres Dorfs durch das türkische Militär, die Ankuft in Berlin. Baran hatte deshalb an Landowsky geschrieben, weil der sich im Abgeordnetenhaus bestürzt darüber geäußert hatte, dass ein junges Mädchen, jünger als seine eigene Tochter, so tragisch ums Leben gekommen sei. „War das Leben von Sema Alp vergleichbar mit dem Ihrer Tochter?“, fragte Baran. In seiner Antwort verwies Landowsky auf das besondere Sicherheitsbedürfnis der Israelis. So einfach ist das. Für manche. Sema Alps Mutter aber sagt: „Hier leben wir unter Feinden, dort leben wir unter Feinden. Wo sollen wir hingehen?“ Uwe Rada

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen