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Ein „alter Freund“ zeigt vor der Knesset Reue

In der ersten Rede eines Deutschen vor Israels Parlament bat Bundespräsident Rau um Vergebung ■ Aus Jerusalem Susanne Knaul

„Es ist in unserer Generation noch nicht an der Zeit, die deutsche Sprache vom Rednerpult der Knesset ertönen zu lassen“

Der Auftritt von Bundespräsident Johannes Rau vor Israels Parlament, der Knesset, ging reibungslos über die Bühne. Rau folgte der Aufforderung des Holocaust-Überlebenden und Friedensnobelpreisträgers Elie Wiesel und entschuldigte sich vor „den Vertretern des Staates Israel für das, was Deutsche getan haben“. Er verneige sich im Angesicht des Volkes Israels „in Demut vor den Ermordeten, die keine Gräber haben, an denen ich um Vergebung bitten könnte“. Das mit zahlreichen Besuchern gefüllte Regierungshaus dankte es Rau mit an seine Rede anschließendem Applaus.

Zum ersten Mal durfte nicht nur ein deutscher Bundespräsident vor der Knesset sprechen – er tat es zudem auf Deutsch. Der Wunsch, die Rede auf Deutsch zu halten, war am Vortag durch den Botschafter bei Knesset-Präsident Abraham Burg eingereicht worden mit der Begründung, Rau beherrsche die englische Sprache nicht sehr gut.

Gut die Hälfte seiner etwa 30-minütigen Ansprache konzentrierte der Bundespräsident auf die Shoah und die deutsche Verantwortung sowohl für die Vergangenheit als auch für den Staat Israel heute. Das sei „ein Grundgesetz deutscher Außenpolitik“. Rau betonte die Wichtigkeit einer Aufklärung und Annäherung vor allem der Jugend. Im Rahmen seines Aufenthaltes in Israel wird er zu diesem Zweck eine Vereinbarung über ein deutsch-israelisches Jugendforum unterzeichnen. Er versprach zudem die Einrichtung eines Stipendienprogramms, um „junge Israelis mit dem heutigen Deutschland vertraut zu machen“.

Rau definierte dieses „heutige Deutschland“ als eine „lebendige, pluralistische Demokratie“ und führte schließlich über Anmerkungen zu Europa hin zu der Frage: „Kann die europäische Erfahrung ein Muster sein, das auch in Israel und im Nahen Osten erprobt werden könnte?“ Er beließ es jedoch bei der Frage und räumte ein, dass die Besonderheiten der Region es verbieten, „voreilig auf die Lösung des israelisch-arabischen Gegensatzes zu schließen“. Der derzeitige Prozess der Konfliktlösung zwischen Israel und Syrien sowie Israel und den Palästinensern blieb in Raus Ansprache unerwähnt.

Parlamentspräsident Abraham Burg, der den Bundespräsidenten vor der Knesset in Empfang nahm, hatte es nicht nötig, die Rede Raus in der Übersetzung per Kopfhörer zu verfolgen. Burg wuchs in einem deutschsprachigen Elternhaus auf – sein Vater Josef Burg floh noch vor dem Krieg aus seiner Heimatstadt Berlin. Der Knesset-Präsident ging auf die „unterschiedlichen Melodien“ ein, in denen die deutsche Sprache „klingt“. Sie sei auch die Sprache der Mörder. Dennoch sei nicht die Sprache wichtig, „sondern der Redner“, der sie spricht. Burg fügte an, dass das israelische Volk heute ein anderes sei als vor 55 Jahren. Ähnlich wolle er „an das andere Deutschland glauben“.

Nach Burg sprachen Premierminister Ehud Barak und Oppositionsführer Ariel Scharon. Beide Redner hatten herzliche Worte für den deutschen Gast und betonten die besondere Rolle Deutschlands als „herausragender Freund Israels in der Europäischen Union“, so Scharon. Die Israelis wüssten das „sehr zu schätzen“.

Bereits im Vorfeld der Ansprache Raus war scharfe Kritik laut geworden. Der ehemalige Knesset-Präsident Dov Schilanski, selbst Holocaust-Überlebender, nannte die geplante Rede des Bundespräsidenten eine „Schändung des Shoah-Andenkens“. Der Staat Israel sei auf der „Asche der Shoah“ gegründet worden. In ähnlichem Tenor begründete der Abgeordnete Dani Nawe (Likud) seinen Boykott der Sitzung. Die Entscheidung, den Bundespräsidenten vor der Knesset reden zu lassen, zeuge von einem „Mangel an Einfühlungsvermögen“. Es sei in „unserer Generation noch nicht an der Zeit, die deutsche Sprache vom Rednerpult der Knesset ertönen zu lassen“.

Dementgegen hatte Tommi Lapid, der letzte israelische Abgeordnete, der den Holocaust selbst erlebt hat, keinen Widerstand gegen Raus Auftritt vorgebracht. Lapid verfolgte die Ansprache ebenfalls ohne Kopfhörer.

Tatsächlich ist Johannes Rau für seine Sympathie zum Judenstaat bekannt. Besuch eines „alten Freundes“ untertitelte die auflagenstärkste Tageszeitung Yediot Achronot (Letzte Nachrichten) das Foto beim Empfang Raus in der Loge seines Amtskollegen, Präsident Eser Weizman. Seinem ersten offiziellen Besuch als Präsident gingen zahlreiche Reisen nach Israel voraus, sowohl privat als auch in seinem früheren Amt als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident.

Im Verlauf seiner derzeitigen Reise besuchte Rau die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Am Dienstagnachmittag traf er mit israelischen und deutschen Jugendlichen zusammen. Ein weiterer Programmpunkt des dreieinhalbtägigen Staatsbesuchs des Bundespräsidenten ist die Besichtigung des in der Negev-Wüste gelegenen Grabes von David Ben-Gurion. Am Wochenende schließlich wird Rau in die palästinensischen Gebiete fahren.

Kommentar Seite 12

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